Kommentar: Im Krisen-Europa Kurs halten

Die Schulden- und Vertrauenskrise liegt wie dichter Nebel über der Wirtschaft. Nicht einmal 50 Meter beträgt die Sichtweite. Das mahnt zur Vorsicht, drückt bei Unternehmern und Verbrauchern die Stimmung.

Noch ist nicht sicher, ob sich Deutschland dem Rezessionssog aus der krisengeschüttelten Euro-Zone entziehen kann - zumal die Kosten der Energiewende geschultert werden müssen.

Die Konjunkturwetterfrösche der Wirtschaftsforschungsinstitute und die Wirtschaftsweisen sind allerdings für 2013 verhalten optimistisch. Um 0,8 bis ein Prozent soll die deutsche Wirtschaft wachsen und die Arbeitslosenquote nur um 0,1 Prozentpunkte auf 6,9 Prozent steigen. Allerdings fordern die Sachverständigen zugleich eine stabile Architektur Europas und warnen vor einer Rücknahme von Reformen wie der Rente mit 67 und der größeren Flexibilität des Arbeitsmarkts.

Versuchungen sind groß

Die Versuchungen dazu sind im Wahlkampfjahr 2013 groß. Wahlgeschenke, die künftige Generationen noch weiter belasten, wären jedoch angesichts der tickenden demografischen Zeitbombe - der Überalterung und Schrumpfung der Bevölkerung - und der sich immer höher türmenden Risiken der Euro-Retter unverantwortlich.

Verteilungsschlachten mit Arbeitskämpfen zur Durchsetzung hoher Lohnforderungen kann sich Deutschland nicht leisten, wenn es seine weitgehende Immunität im Krisen-Europa bewahren will. Sie würden nur die Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Die Inflation bietet mit zwei Prozent in diesem und prognostizierten zwei Prozent im kommenden Jahr keinen Anlass dazu. Aber durch die Geldschwemmenpolitik der Europäischen Zentralbank staut sich ein gewaltiges Inflationspotenzial auf. Die Flucht in Sachwerte ist zwar angesichts des Anlagenotstands verständlich, aber möglicherweise verlustreich. Anstatt eine Immobilie in schlechter Lage oder zu überhöhten Preisen zu kaufen, heißt es: Besser die Nerven behalten. In einigen Großstädten gibt es schon jetzt eine gefährliche Blasenbildung. Sie weckt schlimme Erinnerungen an den Ursprung der von den USA ausgehenden Finanzkrise und der Krise in Spanien.

Die rasche Überwindung der Finanzkrise 2009 und den Beschäftigungsrekord des Jahres 2012 verdankt Deutschland der Lohnmäßigung und dem rechtzeitigen Mut zur Reformen, die in vielen europäischen Nachbarländern erst von der Schuldenkrise erzwungen werden. Eine Agenda 2010 kommt dort um Jahre zu spät. Es gilt, im Krisen-Europa Kurs zu halten. Diesen Kurs der Vernunft haben die Unternehmen 2009 gezeigt. Sie haben trotz einer Schrumpfung der wirtschaftlichen Leistung um fünf Prozent ihre Mitarbeiter nicht entlassen, sondern sie mit Kurzarbeit und dem Abbau von Arbeitszeitkonten gehalten. Sie haben gewusst, dass gute Mitarbeiter das wichtigste Kapital eines Unternehmens sind und Fachkräfte immer knapper werden. Mit dieser vorsorgenden Personalpolitik haben sie gute Erfahrungen gemacht.

Auch wenn sich die Prognosen für 2013 als zu optimistisch erweisen könnten, sollten die Lehren des Jahres 2009 beherzigt werden: Gute Mitarbeiter auch in Krisenzeiten zu halten, selbst Ältere weiterzuqualifizieren und lernschwachen Jugendlichen eine Chance auf einen Ausbildungsplatz zu geben, zahlt sich aus - für Unternehmen und Gesellschaft. 2013 wird kein Spitzenjahrgang. Dazu sind die konjunkturellen Unwägbarkeiten zu groß. Aber das Jahr verspricht einen ordentlichen Qualitätswein.

Der Autor ist ehemaliger Handelsblatt-Chefredakteur.

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