Glaube Beeindruckend
Kürzlich ließ sich im Mainzer Bahnhof ein altes Mütterchen neben mir auf der Bank nieder, stellte vor sich eine abgenutzte Rolltasche ab und schaute aufmerksam auf das Treiben in der Halle – bis sie auf einmal aufsprang und loslief.
Während meine Gedanken um das allein gelassene Gepäck kreisten, kam sie schon zurück, begleitet von zwei Uniformierten uns nahm wieder neben mir Platz.
Wie als Entschuldigung begann sie zu erzählen: Soeben habe sie mit der Bahnhofs-Security eine Frau gestellt, die in der Halle geraucht hat, was verboten sei, der Bahnhof sollte sauber bleiben. Zu den „Blauen Engeln“ gehöre sie, eine Gründung von 1975 zum Schutz von Mensch und Umwelt. Seitdem stehe sie mit Polizei, Jugendamt, Schulen und Gefängnis in Kontakt, denn „wenn es Abend wird“, sagt sie, „ist hier was los.“
Sie habe Augen und Ohren für Menschen, die Hilfe brauchen, die Hunger haben oder keinen Platz für die Nacht - einiges habe sie immer in der Tasche mit dabei. Sie sei hier als die „Bahnhofs-Oma“ bekannt. Auch die Drogen- und Alkoholsüchtigen seien ihr Anliegen, und Kriminelle habe sie auch schon überführt.
Auf mein wohl etwas distanziertes Zuhören zog sie spontan einen Ausweis am Band aus ihrem Ausschnitt – und es stimmte alles. Sie war 89, und solange das Herz mitmache, sagt sie, werde sie abends hier sein und spät in ihre Wohnung in Wiesbaden zurückfahren.
Ich war beeindruckt. Aus welchem Motiv tat sie sich das in ihrem Alter noch an? Ich hatte es versäumt, sie nach ihrer religiösen Orientierung zu fragen, aber ich wusste: Sie hatte ihren Platz und ihre Aufgabe im Leben gefunden, hatte so manchem in der Not beigestanden oder ihn vor Schlimmem bewahrt.
Mir fiel eine Äußerung des flämischen Theologen Phil Bosmans ein: „Wer bei seiner Sinnsuche den Weg zum Mitmenschen findet und ihm in Liebe und mit Tatkraft zugetan ist, der bewegt sich im Magnetfeld eines Gottes, der Liebe ist.“