Theater Die unglaubliche Geschichte einer Kindheit

Trier · Joachim Król erzählt in Trier die Kindheit des Literaturnobelpreisträgers Albert Camus in einer musikalischen Inszenierung.

 Schauspieler ­Joachim Król.

Schauspieler ­Joachim Król.

Foto: sagas ensemble

 Albert Camus wuchs in ärmlichsten Verhältnissen in Algier auf. Der zweite Sohn einer Einwandererfamilie hatte seinen Vater nicht kennengelernt – der Franzose war 1914 im Krieg gegen Deutschland gefallen. Die spanischstämmige Mutter musste die Kinder als Putzfrau ernähren und der dominanten Großmutter die Erziehung überlassen. Dass der junge Albert aus einer Familie von Analphabeten überhaupt aufs Gymnasiums gehen konnte, verdankt er der Fürsprache eines engagierten Lehrers, der das Talent des Jungen erkannt hatte. Irre, dass diese Weichenstellung den Jungen Jahrzehnte später zum Literaturnobelpreis führte! Die Kindheitsgeschichte Camus’ bringt Schauspieler Joachim Król zusammen mit dem L’Orchestre du Soleil demnächst in Trier auf die Bühne.

Es ist kein übliches Theaterstück, das der bekannte Darsteller zusammen mit Musikern und Bühnengestaltern auf seiner Gastspielreise durch Deutschland präsentiert. Es ist vielmehr, so die Ankündigung, eine emotionale Darstellung von Camus’ Kindheit, wie der sie selbst in seinem autobiografischen Roman „Der erste Mensch“ gesehen hat. Auf der Suche nach dem Vater begibt sich der Protagonist nach Algier, heim in die Welt aus Armut, Hitze und Unschuld. Camus hat dieses Werk nicht mehr vollendet. Man fand das Manuskript im Wrack des Unfallwagens, in dem der Autor 46-jährig ums Leben kam.

In der Inszenierung von Martin Mühleis vereinen sich die Stimme Króls, die stimmungsvolle Musik und Lichtspiele zu einer eigenen Form des Erzählens. Es fordert die Fantasie des Zuschauers heraus. Kopfkino im Theater.

Vor seinem Gastspiel in Trier sprach Joachim Król mit TV-Redakteurin Anne Heucher über das Besondere des Bühnenspiels, die Chancen durch Bildung und darüber, was ihn persönlich mit dem Literaturnobelpreisträger verbindet.

Sie gehen als Schauspieler mit einer Lesung auf Tournee. Fühlen Sie sich da nicht in Ihren Ausdrucksmöglichkeiten reduziert?

JOACHIM KRÓL (lacht) Nein, nicht im geringsten. Dieser Beruf hat viele Facetten. Außerdem handelt es sich bei unserem „Ersten Menschen“ nicht um eine Lesung im herkömmlichen Sinne. Ich versuche in meinem Umgang mit dem Text, der Musik, die extra für diesen Abend komponiert worden ist, und den jeden Abend wechselnden Bedingungen die Grenze zwischen Vortrag und Spiel jedesmal aufs Neue zu überschreiten.

Was genau geschieht bei „Der erste Mensch“ auf der Bühne?

KRÓL Man kann erleben, wie die fünf mich begleitenden Musiker und

ich mit Text und Musik eine Atmosphäre kreieren, in der sich Orte und handelnde Personen aus Albert Camus’ Kindheit und früher Jugend vor dem geistigen Auge der Zuschauer einstellen. Kopfkino soll enstehen.

Sie lesen aus der (bearbeiteten) Kindheitsgeschichte von Albert Camus, dem Spross einer Analphabetenfamilie, der später den Literaturnobelpreis gewann. Was ist für Sie das Besondere an dieser Geschichte?

KRÓL Diese Geschichte führt uns vor Augen, welche Möglichkeiten sich einem Menschen durch Bildung eröffnen können. Unfassbar, dass wir heutzutage wieder um Chancengleichheit und gegen den Analphabetismus in unseren scheinbar so zivilisierten Gesellschaften kämpfen müssen!

Was verbindet Sie persönlich mit Camus?

KRÓL Ich habe schnell gemerkt, dass der Text mit mir persönlich zu tun hat. Genau wie bei Camus gab es diesen Schlüsselmoment, gab es diesen Tag, an dem mein Hauptschullehrer meine Eltern aufsuchte und sie davon überzeugte, mich aufs Gymnasium zu schicken. Ein für heutige Verhältnisse wohl kaum mehr vorstellbarer Vorgang. Ein junger, engagierter Lehrer besucht nach Feierabend das Elternhaus eines seiner Schützlinge und stellt damit wahrscheinlich die Weichen für dessen zukünftiges Leben. Als Gymnasiast kam ich dann natürlich später auch mit Camus’ (und Sartres)  Literatur in Berührung. Das war Schullektüre. Und noch später war es schick, bei Rotwein und schwarzen Zigaretten über Existentialismus zu diskutieren.

In dem Bühnenformat von „Der erste Mensch“ kommen Rezitation, Musik und Lichteffekte zusammen. Wie verbinden Sie Ihre Sprache mit der Musik?

KRÓL Ich bemühe mich, ein Teil der Komposition zu werden. Schauspielerei hat sehr viel mit Musik zu tun. Sprache, Bewegung folgt immer einem Rhythmus. Theater ist live. Jeder Musiker, so wie ich auch, ist jeden Abend anders disponiert. Wir müssen zueinander finden wie die Musiker in einem Orchester. Ein sehr schöner und spannender Vorgang.

Camus war Existentialist, sah die Welt als sinnlos und die menschliche Sinnsuche als absurd an. Wird ein biografisches Melodram diesem Denker gerecht?

KRÓL Mit „Der erste Mensch“ begegnen wir einem Autoren, der sich

nach der großen Ehrung durch die Verleihung des Literaturnobelpreises neu erfinden wollte. Damals galt Camus als „ausgeschrieben“. Durch das Eintauchen in seine Biografie, dem Sich-Beschäftigen mit seiner Herkunft, seinen Wurzeln, wollte er sich literarisch neu erfinden. Das ist unheimlich spannend und berührend.

Das Gastspiel „Der erste Mensch“ nach Albert Camus, bearbeitet und inszeniert von Martin Mühleis, mit Joachim Król und dem L’Orchestre du soleil läuft am Samstag, 12. Januar, 19.30 Uhr, im Großen Haus des Theaters Trier. Karten gibt es an der Theaterkasse unter Telefon 0651/7181818.

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