Arme Kinder wissen weniger - Studie: Sprösslinge von Hartz-IV-Empfängern starten mit großem Rückstand ins Schulleben

Trier · Erneut zeigt eine Studie, dass Kinder aus armen Familien deutlich schlechtere Bildungschancen haben. Kitas fordern mehr Personal, doch Wissenschaftler glauben nicht, dass dies das Problem lösen kann.

Das eine Kind wird als Sohn eines Lehrerehepaars in einem Haus voller Bücher und Zeitungen groß, jeden Abend lesen die Eltern ihm eine Gute-Nacht-Geschichte vor, sie helfen bei den Hausaufgaben, dienstags gibt's Klavierunterricht, montags und donnerstags Fußballtraining.

Das andere Kind hat zu Hause einen Fernseher. Bücher spielen in seinem Leben keine Rolle, es gibt keine Hausaufgabenhilfe, keine Lernspiele und kein Klavier. Da seine Mutter sich die Fußballschuhe von Hartz IV nicht leisten kann, spielt es auch nicht Fußball.

Eine neue Studie der Bertelsmannstiftung zeigt, dass Kinder, deren Familien von Hartz IV leben, nicht erst in der Grundschule, sondern schon in den Kitas hinterherhinken: So sprechen über 40 Prozent von ihnen nur mangelhaft deutsch. Geht es den Familien finanziell besser, haben hier nur rund 14 Prozent große Defizite. Ähnlich sieht es bei Problemen mit der Körperkoordination aus (24,5 zu 14,6 Prozent), dem Umgang mit Zahlen (28 zu 12,4) oder Übergewicht (8,8 zu 3,7). Nur zwölf Prozent der "armen Kinder" lernen ein Instrument. Jene aus finanziell unabhängigen Familien sind mit 29 Prozent dabei. Auch beim Zugang zu einem Sportverein hinkt die Gruppe mit 46 zu 77 Prozent hinterher.

Die Studie ist neu, das Problem alt. Die Kitas versuchen gegenzusteuern, so gut sie können: Überall in der Region werden derzeit Kinder für das Sprachförderprogramm des Landes angemeldet. "Überwiegend sind es Deutsche", sagt Pia Khoilar, Gesamtleiterin acht katholischer Kindergärten im Raum Saarburg. Ein gemeinsames Frühstück stellt sicher, dass alle Kinder morgens etwas Gesundes zu essen bekommen. Und sämtliche Ausflüge sind kostenfrei, damit niemand ausgeschlossen wird. Niedrigschwellig sollen die Angebote sein.

Auch in Wittlich-Neuerburg, wo die von Erni Schaaf-Peitz geleitete Kita versucht, den Eltern direkt unter die Arme zu greifen: Die Einrichtung bietet Lebensberatungssprechstunden an. "Es gibt so viele Barrieren", sagt die Erzieherin. Für den einen Antrag müssten die Eltern zum Kreis, für den nächsten zur Stadt - und "füllen sie doch mal so ein Formular aus!" Das müsste alles vereinfacht und gebündelt werden, findet Schaaf-Peitz.

Auch Carsten Schmitt vom Walburga-Marx-Haus in Trier-West wünscht sich weniger Bürokratie und mehr Personal. Spiel- und Lernstuben wie diese sollen Kinder in benachteiligten Wohngebieten fördern. Der Anteil der Sozialleistungsempfänger ist hoch, die Gruppen mit zehn Kindern klein, die Betreuung intensiv. Da tatsächlich viele Kinder Probleme mit Grammatik und Wortschatz haben, spielt Sprachförderung eine wichtige Rolle - aber auch das Erlernen sozialer Kompetenzen: Anderen zuhören, Danke sagen, sich auch mal unterordnen.

Was sich die Kitas wünschen, ist vor allem mehr Personal. "Ich gönne ihnen jeden Euro, aber man muss auch nach der Wirkung fragen", sagt Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz. Die Ergebnisse zahlreicher Studien haben ihn ernüchtert. Denn sie zeigen: Die Familien, in denen ein Kind groß wird, haben einen doppelt so großen Einfluss auf seine Bildung wie Kindergarten und Schule zusammen.

"Eigentlich müssten wir von Beginn an in die Familien hin-ein", sagt Sell - und eine "fürsorgliche Belagerung" anbieten, wie dies in Skandinavien geschehe. Oder man müsse eben akzeptieren, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort