Bomben-Nacht von Kundus gibt neue Rätsel auf

Für viele war es eine faustdicke Überraschung: Statt vor dem Afghanistan-Ausschuss die Aussage zu verweigern, stellte sich Bundeswehroberst Georg Klein seiner Verantwortung für den Bombenangriff von Kundus.

Berlin. Die Nacht vom Kundus-River am 4. September 2009, in der durch amerikanische Bomben, die von der Bundeswehr angefordert worden waren, bis zu 147 Menschen starben, wird immer mysteriöser. Die mit Spannung erwartete Vernehmung des für den Einsatzbefehl verantwortlichen Obersts Georg Klein gestern vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages lenkte die Aufmerksamkeit auf eine geheime Kommandotruppe der Bundeswehr, die "Task Force 47". Sie hat bei der Aktion offenbar eine zentrale Rolle gespielt.

Fraktionen zollen Kommandeur Respekt



Die gesamte zweite Etage des Reichstagsgebäudes war gesperrt, nur Ausschussmitglieder durften die Fahrstühle verlassen. Sichtblenden verstellten den Blick. Um jeden Preis wollte man verhindern, dass von Klein, der wegen seiner Verantwortung für den Einsatz hoch gefährdet ist, ein aktuelles Foto geschossen wird. Der Oberst, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, trug in geheimer Sitzung 90 Minuten lang seine Sichtweise vor, ehe er dann weitere fünf Stunden lang geduldig jede Frage beantwortete. Alle Fraktionen zollten ihm dafür höchsten Respekt, zumal Klein sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hätte berufen können. Doch der Offizier wollte, wie er betonte, zu seiner Verantwortung stehen. Die Folgen bedauere er als Christ sehr, sagte er. Er habe fest geglaubt, dass es sich nur um Taliban handele.

Ob Klein aber tatsächlich allein für die Entscheidung verantwortlich war, amerikanischen Jagdflugzeugen den Befehl zu geben, zwei 500 Pfund-Bomben auf die in einer Sandbank feststeckenden entführten Tanklaster und die sie umgebende Menschenmenge zu werfen, ist fraglich. So sagte Klein aus, dass sich in dem Gefechtsstand im Lager Kundus neben seinen Offizieren noch sechs weitere Personen befunden hätten, die er nicht alle gekannt habe. Teilweise hätten sie der Task Force 47 angehört. Zweitens sagte Klein aus, dass er den Funkverkehr mit den amerikanischen Piloten nicht mitgehört habe. Er sei nicht in alle Details eingeweiht gewesen. Demzufolge trugen möglicherweise andere die Verantwortung dafür, dass den kritisch nachfragenden amerikanischen Piloten die Lüge aufgetischt wurde, die Bundeswehr habe Feindkontakt mit den Taliban im Fluss ("Troops in contact"). Und offenbar war es auch nicht Klein selbst, der den Piloten untersagte, die Menschenmenge durch einen tiefen Vorbeiflug ("Show of Force") zu warnen. Klein sei bei seinem Befehl "von anderen beraten" worden, hieß es aus dem Ausschuss.

Vor allem die Oppositionsvertreter wollen nun wissen, von wem und warum.

Die Spur führt zum Spezialkommando



Die Spur führt zum Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, deren Einheit in Afghanistan "Task Force 47" heißt. Sie wird aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam geleitet und arbeitet streng geheim. Bekannt ist, dass die Truppe in Afghanistan auf der gezielten Jagd nach Taliban-Kommandeuren ist. Solche wurden auch unter den Tanklaster-Entführern vermutet. War die ganze Aktion also das Ende einer KSK-Operation? Sorgten KSK-Leute für die falsche Information, dass keine Zivilisten auf der Sandbank waren, lenkten sie sozusagen Oberst Klein bei seinem Abwurfbefehl?

Diese Frage stellen sich jetzt die Ausschussmitglieder. Und dann folgt sogleich die politisch brisante Frage, was man in Potsdam von jener Aktion wusste - und weiter im Verteidigungsministerium und im Kanzleramt. "Das Puzzle beginnt", sagte ein Ausschussmitglied nach der gestrigen Vernehmung, "und es wird spannend".

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