Das Ende der gesegneten Zeiten

BERLIN. Die Einnahmen sinken und durch Steuerreform und Arbeitslosigkeit könnte das Loch in den Kassen der Kirchen noch größer werden.

Kurz vor Weihnachten flatterte den 150 000 Berliner Katholiken ein Schreiben ins Haus mit einer "dringenden Bitte" ihres Erzbischofs Kardinal Georg Sterzinsky. Eine Schuldenlast von 100 Millionen Euro schwebe über dem Erzbistum. Zwar hätten die anderen deutschen Bistümer 50 Millionen Euro zugesichert, aber trotz aller Anstrengungen "bleibt noch eine erhebliche Finanzierungslücke". Also bat Sterzinsky um eine "großherzige Spende" zur Sicherung der "vielfältigen, karitativen Aufgaben". Anvisierte Gesamtsumme: Zehn Millionen Euro. Bislang hat der Spendenbrief 600 000 Euro eingebracht. Die Berliner sind freilich ein extremer Fall und durch besondere Misswirtschaft nicht gerade unschuldig an ihrer Situation. Grundsätzlich gilt jedoch: Aus dem Vollen schöpfen können die Kirchen schon lange nicht mehr. Die Einnahmen gehen immer weiter zurück, evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer müssen sparen, sparen und nochmals sparen. Und halt um Spenden bitten. Überall regiert der Rotstift zur Kostensenkung. Kleine Landeskirchen suchen die Fusion, Kirchengemeinden werden zusammengelegt, Einrichtungen werden geschlossen, Gehälter gekürzt, Rücklagen sind vielfach schon aufgebraucht. Selbst der Verkauf von Kirchenbesitz ist kein Tabu mehr. Licht am Horizont ist trotzdem nicht in Sicht: "Die Einnahmekrise der Kirchen wird sich auf jeden Fall weiter verschärfen", sagt der Münsteraner Elmar Niclas, Geschäftsführer der Steuerkommission des Verbandes der Diözesen. 2002 flossen in die Kassen der beiden großen Volkskirchen 8,371 Milliarden Euro an Kirchensteuern, schon damals satte 66 Millionen Euro weniger als ein Jahr zuvor. Für 2003 sind die Zahlen zwar noch nicht bekannt, "ein Nord-Süd-Gefälle wird aber nicht zu verkennen sein", glaubt Niclas - soll heißen, im Norden weniger Einnahmen, im Süden vielleicht etwas mehr. Mit großen Argusaugen schauen die Kirchen gleichzeitig auf die anhaltenden "unbefriedigenden Steuerdebatten". Niclas: "Es ist nun mal so, dass wir 80 Prozent der Einnahmen aus der Kirchensteuer rekrutieren", die je nach Bundesland acht bis neun Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer beträgt. Schon nach der Steuerreform 2001 standen beispielsweise der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) statt 4,1 Milliarden nur noch 3,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Experten gehen nun davon aus, dass die Anfang dieses Jahres in Kraft getretene, vorgezogene Steuerreform nochmals ein Minus von drei Prozent bringen könnte - zuzüglich den Einbußen aufgrund der konjunkturellen Entwicklung. "Bei Steuerreformen mit Tarifsenkungen hat es meist erst eine Delle gegeben, kurz danach dann einen stetigen Aufstieg", formuliert Niclas das Prinzip Hoffnung. In der Realität dürfte sich die Finanzkrise derzeit aber eher verschärfen - auch wegen der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit. Ausgerechnet aus der CDU kommt nun der Vorschlag, die Steuer gänzlich abzuschaffen. Die Kirchen sollten dann einen "Kirchenbeitrag" selbst festlegen und erheben, fordert Vorstandsmitglied Kurt Lauk. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) erteilt solchen Plänen hingegen eine klare Absage: "Im Zusammenwirken mit Land und Kommunen nehmen die Kirchen auch wichtige gesellschaftliche Aufgaben wahr." Das sei dann nicht mehr gewährleistet, gibt Beck zu Bedenken. Die Abkehr vom bisherigen System könnte nämlich noch teurer kommen - jetzt bucht der Staat für die Kirchen beim Bürger automatisch mit ab. Wäre das nicht mehr der Fall, drohe am Ende womöglich eine neue Austrittswelle. Von gesegneten Zeiten sind die Kirchen also alles in allem noch weit entfernt.

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