Die Taubheit des Monsieur Hollande

Paris · Mit einem Fernsehauftritt wollte der unbeliebte französische Präsident Hollande am Donnerstag an Boden gutmachen. Doch der Sozialist schien von der Realität seines Landes abgekoppelt, die von Bürgerprotest und Arbeitslosigkeit bestimmt wird.

Paris. Die Berater hatten den Fernsehauftritt von François Hollande als Lehrstunde eines Pädagogen konzipiert, der dem Volk seine Politik erklärt. Doch statt dessen waren es vier ausgewählte Landsleute, die dem nur noch mit 15 Prozent Zustimmung ausgestatteten französischen Präsidenten am Donnerstagabend eine Lektion erteilten. "Frankreich geht es besser", verkündete der Sozialist gleich zu Beginn der rund hundertminütigen Sendung tapfer.Hohe Arbeitslosigkeit

Doch unter den Zahlen, die mehr Wachstum, mehr Kaufkraft und weniger Defizit zeigen, vergaß Hollande eine, an der er eigentlich gemessen werden will: die Arbeitslosenzahl. Rund 700 000 Arbeitslose kamen seit Beginn seiner Amtszeit 2012 hinzu. "Sie sprechen von steigender Kaufkraft, wir erleben das Gegenteil", warf Antoine Demayer dem Präsidenten vor. Der Busfahrer aus Nordfrankreich war einer der vier Studiogäste, die dem Staatschef Fragen stellen durften. Der Familienvater, der einst die Sozialisten wählte, ist nun Anhänger des rechtspopulistischen Front National. "Das ist eine Stimme der Wut", sagte Demayer. Er ist nicht der Einzige, der wütend ist auf dem Präsidenten. Auch Marwen Belkaïd, ein zweiter Gesprächspartner, hat dieses Gefühl. Der Wirtschaftsstudent stimmte 2012 für Hollande, der damals die Jugend zur Priorität seiner Politik gemacht hatte. Doch inzwischen hat sich der 22-Jährige enttäuscht dem Bürgerprotest Nuit Debout zugewandt.Politische Klasse ist taub

"Ich habe den Eindruck, dass die politische Klasse völlig taub ist." Auf alle Fälle schien Hollande am Donnerstagabend taub für die Probleme seiner Bürger zu sein. Die Jugendarbeitslosigkeit? Liege mit 25 Prozent im EU-Durchschnitt, behauptete der Präsident - auch wenn die EU-Statistik Frankreich sechs Prozentpunkte darüber sieht. Die gescheiterte Verfassungsänderung? Blieb einfach zu lange liegen und bekam deshalb immer mehr Widerstand. "Die große Kluft zwischen Hollande und den Franzosen", titelte die Zeitung Le Parisien am Freitag.
Fehler wollte der 61-Jährige nicht einräumen. Auch wer eine Vision für den Rest seiner Amtszeit erwartet hatte, wurde enttäuscht.
Als letztes großes Projekt will er die Reform des Arbeitsrechts durchsetzen, jenen Text also, gegen die Nuit Debout seit Wochen protestiert. Doch auch hier schaffte es Hollande, alle vor den Kopf zu stoßen: die Jugendlichen, die den Verzicht auf das Gesetz fordern, und die Unternehmer, denen die Kompromissbereitschaft des Präsidenten zu weit geht. Die Unternehmerin Anne-Laure Constanza, ebenfalls im Fernsehstudio dabei, fühlt sich vor allem von der geplanten Besteuerung der Zeitverträge abgeschreckt. "Sie blockieren den Eintritt der jungen Leute in die Unternehmen", kritisierte die 40-Jährige den Präsidenten. Der will seinen Kurs trotzdem unbeirrt fortsetzen und bis zum Ende seiner Amtszeit reformieren. "Auf dem Tiefpunkt der Umfragen angekommen, von seiner eigenen Mehrheit hinterfragt, ändert er sich nicht", kommentierte der konservative Figaro. Für fast 90 Prozent der Franzosen ist die Bilanz des Sozialisten negativ, und 75 Prozent lehnen seine erneute Kandidatur ab.Kaum Zuschauer

Der sozialistische Senator Gaëtan Gorce forderte den Staatschef diese Woche auf, die Konsequenzen aus seiner Unbeliebtheit zu ziehen und den Weg für einen anderen Präsidentschaftskandidaten freizumachen. Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der eine eigene Bewegung gründete, und Regierungschef Manuel Valls laufen sich bereits warm. Die Franzosen scheinen Hollande, der am Jahresende über eine Kandidatur entscheiden will, schon jetzt den Rücken gekehrt zu haben.
Nur 3,5 Millionen verfolgten seinen Fernsehauftritt am Donnerstag. Bei einer Sendung im Februar waren es noch zehn Millionen gewesen.

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