Erinnerungen Ein Zitronenbaum fürs Weiße Haus des Exils

Los Angeles · Trotz aller Spannungen: Der Bundespräsident hebt bei der Eröffnung des Thomas-Mann-Hauses in Los Angeles die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und den USA hervor.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender pflanzen anlässlich der Eröffnung des Thomas Mann Hauses in Los Angeles zusammen mit dem Enkel des Schriftstellers, Fridolin Mann (links), im Garten einen Zitronenbaum. 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender pflanzen anlässlich der Eröffnung des Thomas Mann Hauses in Los Angeles zusammen mit dem Enkel des Schriftstellers, Fridolin Mann (links), im Garten einen Zitronenbaum. 

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Es duftet nach Eukalyptus, die Palmen stehen da wie gemalt, im Vorgarten blüht es rosa und violett. Drinnen helles Parkett, schlichte Sessel und im Arbeitszimmer Bücher bis unter die Decke. „Die Fenster sind neu“, sagt Frido Mann. „Aber sonst ist vieles noch da.“ Nur der Blick auf den Ozean, der sei damals freier gewesen, nicht wie heute versperrt von hohen Bäumen.

Pacific Palisades, ein Nobelviertel in den Hügeln über Los Angeles, dessen Straßen nach Küstenorten an der Riviera benannt sind. Am San Remo Drive hat zehn Jahre lang, von 1942 bis 1952, Thomas Mann gelebt. Es ist die Villa, in der „Doktor Faustus“ entstand, „Lotte in Weimar“, „Joseph der Ernährer“, Teile des „Felix Krull“. Ein Haus mit flach geneigtem Dach, eierschalenfarben angestrichen, keinerlei Pomp, eher zurückhaltend im Vergleich zu den Nachbarbauten, deren Architekten zwischen maurischem Stil und Barockschlösschen so ziemlich alles ausprobiert haben. Hier verfasste der Dichter in den Kriegsjahren die meisten seiner berühmten, von der BBC ausgestrahlten Radioansprachen. „Deutsche Hörer“ – ein Sammelband steht im Bücherregal.

Als Frido Mann das erste Mal zu Besuch kam, im Sommer 1942, waren seine Großeltern, Thomas und Katia Mann, gerade eingezogen. Von da an verbrachte er jedes Jahr drei bis vier Monate in Pacific Palisades, bevor er in die Schweiz zog, um an einer Internatsschule zu lernen. 1953, das Haus wurde verkauft, nachdem die Manns nach Europa zurückgekehrt waren, hatte der Lieblingsenkel des Schriftstellers „das Gefühl, dass meine Heimat verlorengegangen ist“. Einen Stich habe ihm die Nachricht gegeben, sagt er. Vor zwei Jahren dann, als die Bundesregierung das Anwesen für 13 Millionen Dollar erwarb, war es in Frido Manns Erinnerung im Dornröschenschlaf versunken. Von allen Seiten zugewachsen und, ja, ein wenig vernachlässigt trotz der edlen Lage.

Frank-Walter Steinmeier, damals deutscher Außenminister, sprach vom „Weißen Haus des Exils“. Und vielleicht ist ja Crosby Doe der stille, selten erwähnte Held der Geschichte. Ein älterer, unauffälliger Makler. Er alarmierte die Deutschen, als die Immobilie 2016 zum Verkauf stand. Manns Haus, erinnert sich Doe, sollte abgerissen werden, um Prächtigerem Platz zu machen, so habe es die Annonce suggeriert. In der Nacht zum Dienstag hat es Steinmeier, nunmehr Bundespräsident, als Begegnungsstätte eröffnet. Stipendiaten sollen dort wohnen, sobald das Obergeschoss keine Baustelle mehr ist. Den Anfang machen, um nur drei Namen zu nennen, die Soziologin Jutta Allmendinger, der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering und der Schauspieler Burghart Klaußner.

Als sich die Manns in Kalifornien einrichteten, gaben sie nach intensiver Suche einem frisch parzellierten Grundstück am San Remo Drive den Zuschlag. Der Architekt Julius Davidson, aus Berlin emigriert, rät zu einem schnörkellosen Stil. „Ich werde nun ein richtiger Kalifornier werden“, erklärt Thomas Mann, wozu er wie zum Beweis auf den Zitronenhain rund um sein Grundstück verweist.

Der Nobelpreisträger, der Deutschland 1933 verlassen hatte, war mit seiner Familie im Exil von Staat zu Staat gereist, in die Schweiz, nach Südfrankreich, schließlich in die USA. „Wo ich bin, ist Deutschland“, seine deutsche Kultur trage er in sich, diktiert er 1938 bei seiner Ankunft in New York in die Notizblöcke der Reporter. Seine Gönnerin Agnes Meyer, Gattin des Eigentümers der „Washington Post“, vermittelt ihm eine Stelle an der Universität Princeton, wo auch Albert Einstein lehrt. Es folgt der Umzug von der Ost- an die Westküste, nach Los Angeles, wo rund 10 000 Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich leben, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Theodor Adorno. Die Stadt wird zu einem „Weimar am Pazifik“, über das Thomas Mann wie die Stimme des anderen Deutschland präsidiert. Sein Zwanzig-Zimmer-Anwesen dient als Treffpunkt für geflohene Schauspieler, Wissenschaftler – und natürlich für Literaten.

Unter allen Exilanten ist Mann wohl derjenige, der sich Amerika am nächsten fühlt. 1944 wird er amerikanischer Staatsbürger, er bleibt, bis 1952 die vom Senator Joseph McCarthy geschürte antikommunistische Hetze derart bedrohliche Züge annimmt, dass er es vorzieht, nach Europa zurückzukehren.

Es mangelt nicht an Kommentaren, die in der Achterbahn jener Zeit Parallelen zur Gegenwart erkennen. Erst der Zufluchtsort USA, dann das Abrutschen in McCarthys hysterischen Populismus.

„Es ist ein schreckliches Schauspiel, wenn das Irrationale populär wird“, hatte Thomas Mann bereits 1943 gewarnt.

Steinmeier greift den Satz auf. „Ich fürchte, wir erleben gerade neue Folgen dieses Schauspiels, in der politischen Debatte auf beiden Seiten, in Amerika und in Europa“, sagt er in seiner Eröffnungsrede. Ja, man könne klagen über die Verrohung der Sprache, insbesondere in den sozialen Netzwerken, über die Sehnsucht nach Eindeutigkeit, über die Verlockung von Feinbildern und Sündenböcken, über die Verachtung von Sachlichkeit, sogar von wissenschaftlicher Expertise. Solche Klagen seien auch Thomas Mann nicht fremd gewesen. „Doch die Frage ist, was aus den Klagen folgt.“

Er persönlich, so der Bundespräsident, halte den Schlachtruf gegen das „Establishment“ für das gefährlichste Lockmittel des Populismus. Nur: Alle, die in Deutschland in täglicher Empörung, sogar mit einem gewissen kulturellen Hochmut, den Kopf schüttelten über die Endzeit der amerikanischen Demokratie, wolle er an Thomas Manns klare Worte erinnern: „Nein, Amerika bedarf keiner Unterweisung in Dingen der Demokratie.“ Keine andere Demokratie habe sich als so widerstands- und erneuerungsfähig erwiesen wie die amerikanische, und dies immerhin seit 240 Jahren.

Klaußner sagt, dass er aus seinem Stipendium den Auftrag ableite, sich Gedanken zu machen. Was eine Gesellschaft tun solle angesichts der Herausforderungen von Migration, einer Wir-sind-wir-Mentalität, eines „America first“ oder „Deutschland zuerst“, darüber wolle er nachdenken am San Remo Drive. Und den Dialog mit den Amerikanern pflegen, weil man einander ja zuhören müsse.

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