Strafvollzug Häftlinge kommen, Personal geht

Mainz/Trier/Wittlich · In rheinland-pfälzischen Gefängnissen steigen Gewalt und Überstunden an. Justizminister Herbert Mertin will die Lage mit neuen Kräften entspannen. Reicht das?

Wie bedrohlich ist die Lage in den Gefängnissen? Sehr bedrohlich, wenn es nach den Worten von Winfried Conrad geht. Bis zu 200 Mitarbeiter fehlen im Schnitt täglich krank in den Gefängnissen des Landes, behauptet  der Landesvorsitzende des Bundes für Strafvollzugsbeamte (BDSB). Als gewichtigen Grund nennt er Überlastung und Personalnot.

Im Rechtsausschuss des Mainzer Landtags haben die Abgeordneten in einer Experten-Anhörung hingelauscht, wie die Lage in den Gefängnissen ist, über die auch der TV mehrfach berichtet hat. Conrad spricht davon, dass die Gefangenenzahl in Rheinland-Pfalz von 2015 bis 2017  gegen alle Erwartungen gestiegen sei – um 88. Das möge nicht nach einer hohen Zahl aussehen, doch künftig erwarte er noch einen steilen Anstieg, wenn das Land wieder mehr Polizisten einsetze – und diese mehr Straftäter verhafteten sagt er. Die Anforderungen an die Vollzugsbeamten seien ohnehin enorm gestiegen: Es gebe deutlich mehr Tatverdächtige, die nicht deutsch sprechen. Die Gewalt nehme zu, immer häufiger würden Vollzugsbeamte bespuckt, bepöbelt, angegriffen.

Und zugleich fehlt es an Kräften: Mehr als 118 Stellen waren im vergangenen Jahr nicht besetzt, schon Ende 2016 schoben die Beamten 156 000 Überstunden vor sich her, 2017 kamen dann noch einmal mehr als 41 000 dazu. 21 Mitarbeiter gingen frühzeitig in den Ruhestand, teilt das Justizministerium auf TV-Anfrage mit. Jürgen Buchholz, Leiter der Justizvollzugsanstalt in Zweibrücken, warnt: „Es besteht die Gefahr, dass das Personal ausbrennt.“

Hoffnung schöpft Buchholz aus dem Vorpreschen von Justizminister Herbert Mertin (FDP), der 20 unbesetzte Stellen im Land mit Anwärtern auffüllen will und sich auch dafür einsetzen will, über den  Doppelhaushalt 2019/20 mehr Kräfte zu gewinnen. „Wenn das gelingt, wäre die Kuh vom Eis“, frohlockt Buchholz. Kritischer sieht das Winfried Conrad, der noch von 100 zu besetzenden Anwärterstellen spricht. „Etliche Mitarbeiter gehen bald in den Ruhestand“, warnt er. Conrad fordert eine höhere Bezahlung, um Nachwuchs zu gewinnen. Sein Gewerkschaftskollege Jürgen Philipps erwartet auch, vertraute Mitarbeiter zu belohnen. Er kenne Kollegen, die seit 15 Jahren auf ihre Beförderung in eine höhere Gehaltsstufe warteten, sagt der bei der JVA Trier arbeitende Philipps im Gespräch mit dem Volksfreund. Jörg Jokisch, Sprecher der verdi-Landesfachkommission Justizvollzug, erwartet mehr Respekt: Er spricht von einer „Angstkultur“ in den Gefängnissen. Das Land müsse umdenken, zumal der Vollzug in Rheinland-Pfalz in Konkurrenz zur freien Wirtschaft stehe.

Doch auch in anderen Ländern sieht es nicht besser aus. Christine Meyer vom niedersächsischen Justizministerium sagt, dass es immer mehr psychisch auffällig Gefangene gebe, mehr Angriffe und Suizidversuche von Häftlingen. Auch ein Experte aus Hessen sagt, Mitarbeiter hätten im vergangenen Jahr mehr als 60 000 Überstunden aufgebaut.

Justizminister Herbert Mertin (FDP) hofft nun auch darauf, dass Union und SPD im Fall einer großen Koalition im Bund nachbessern. 2000 neue Stellen in der Justiz seien dort im Sondierungspapier vereinbart. „Das Ziel unterstütze ich ausdrücklich.“

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