Opferschutz durch Tätertherapie

Trier · Es gehört fast zum Standard von Urteilssprüchen gegen Sexualstraftäter: Ihnen wird als Auflage aufgegeben, sich einer Therapie zu unterziehen. Klingt vernünftig, ist aber in der Praxis gar nicht so einfach umzusetzen. In Trier gibt es dafür eine spezialisierte Stelle. Sie heißt Paju.

Trier. Der Standort und der Eingang könnten kaum unauffälliger sein. In einem Gewerbegebiet am Trierer Stadtrand, hinter einem unauffälligen Hinweisschild, verstecken sich die Büro- und Therapieräume der Psychiatrischen Ambulanz im Auftrag der Justiz, kurz Paju. Die Ausstattung ist spartanisch, nur ein paar stark gesicherte Aktenschränke lassen ahnen, dass hier komplexere Dinge vor sich gehen.
Ein harter Job


Die ausgeprägte Zurückhaltung (selbst auf der informativen Homepage gibt es keine Adresse) hat damit zu tun, dass die Menschen, die hierherkommen, potenzielle Sexualstraftäter sind. Für manche ist die Therapie eine Bedingung, damit sie eine verhängte Strafe nicht antreten müssen. Andere waren schon im Gefängnis und wurden mit entsprechender Auflage vorzeitig entlassen. Wieder andere sitzen noch und sind zur Therapie "abgeordnet". Aber es gibt auch Klienten, die freiwillig kommen, weil sie Angst haben, ohne Hilfe zum Straftäter zu werden.
Mehr als 50 Fälle haben die Psychologin und die Psychotherapeutin von Paju seit Eröffnung der Stelle im Oktober 2009 auf den Schreibtisch bekommen, in 34 davon kam es zu Betreuungsgesprächen. 15 Fälle sind abgeschlossen, 19 Klienten befinden sich aktuell in Behandlung, die Hälfte davon wegen sexueller Missbrauchsdelikte, jeder fünfte wegen Kinderpornografie, jeder sechste wegen Vergewaltigung oder Nötigung.
Ein ziemlich harter Job für Paju-Leiterin Christine Delker und ihre Kollegin. Sie müssen Tag für Tag tief in Persönlichkeiten einsteigen, deren Einstellungen und Fantasien mitunter außerhalb des Erträglichen liegen. Um Stellen in der Täterarbeit reißt sich niemand - da bleibt auch eine Stellenanzeige in der Wochenzeitung Die Zeit schon mal ohne Rücklauf.
Rund 50 Sitzungen in eineinhalb Jahren verwenden die Psychologen im Schnitt auf einen Klienten. Eine Garantie, dass er später keine Straftat begeht, gibt es trotz aller Mühe nicht. Auch wenn die Rückfallquote bei den bisherigen Paju-Betreuten denkbar gering ist. Allerdings sind die Paju-Mitarbeiter, anders als private Psychotherapeuten, gehalten, der Justiz zu melden, wenn ein Klient aus ihrer Sicht zum besonderen Risiko wird. "Wir machen viel Empathie-Arbeit", sagt Christine Delker. Will heißen: Man versucht, Gewalttätern die Situation der Opfer nahezubringen. Oder Konsumenten von Kinderpornografie verständlich zu machen, dass hinter jedem Bild ein kindliches Schicksal steckt.
Die Täter sollen ihre Verantwortung begreifen. Und sie sollen lernen, wie man sich im kritischen Moment unter Kontrolle hält. Das Spektrum der Klienten ist breit. Manche sind uneinsichtig, andere, so hat Delker beobachtet, "sind traurig, dass sie so sind, wie sie sind". Entsprechend unterschiedlich sind die Ansätze der Therapeuten. Aber sie ärgern sich über die Stammtisch-Parole vom übermäßigen Verständnis für die Täter und vom mangelnden Schutz der Opfer. Täterarbeit sei "nicht Hege und Pflege, sondern praktizierter Opferschutz", sagt Claudia Heltemes von der Trierer Pro Familia, dem örtlichen Träger von Paju.
Tatsächlich plädieren gerade Opferverbände wie der Weiße Ring für entsprechende Einrichtungen. Und zum Paju-Fachbeirat gehören in Trier der Polizeipräsident und der Chef der Staatsanwaltschaft - beides Institutionen, die nicht unter dem Verdacht des Kuschelkurses gegenüber Straftätern stehen. Ihnen ist klar, dass mit Strafen allein keine Rückfälle verhindert werden können.
Die Trierer Einrichtung ist im nördlichen Rheinland-Pfalz einmalig - eine vergleichbare Stelle gibt es nur in Ludwigshafen, angegliedert an die dortige Justizvollzugsanstalt. Zur Paju kommen Täter aus einem Einzugsgebiet bis Koblenz. Kein Wunder, dass die Aufnahme über eine Warteliste geregelt werden muss.
Das vom Land finanzierte Budget ist mit jährlich 120 000 Euro recht bescheiden, aber Mainz hat in der Startphase auch personell unbürokratisch geholfen. Jetzt hofft Claudia Heltemes von Pro Familia, "dass die Arbeit dauerhaft auf gutem Niveau abgesichert wird".

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