„The Games must go on“ - Gedenken an München 1972

München · Ein heiteres Sportfest in einem offenen gastfreundlichen Deutschland, ein Gegenpol zu Hitlers Olympia von 1936 sollte es werden. Ausgerechnet bei diesen Sommerspielen 1972 gibt es einen Anschlag auf jüdische Sportler. 40 Jahre danach gedenkt München der Opfer.

(dpa) - Der israelische Sportschütze Zelig Shtorch kann sogar seine Sportwaffe in sein Appartement schmuggeln. Die Sicherheitsvorkehrungen bei Olympia 1972 sind bewusst locker. Deutschland will zeigen, wie es sich seit den Olympischen Spielen 1936 verändert hat, zu einem gastfreundlichen, offenen Land. Es sollen heitere Spiele werden, in einem neuen Deutschland mit neuem Image - doch sie werden zum Alptraum. Palästinensische Terroristen nehmen am 5. September israelische Sportler gefangen, die Geiselnahme endet in einem Blutbad. Alle elf Sportler, fünf Geiselnehmer und ein deutscher Polizist sterben im Kugelhagel. Die zentrale Gedenkfeier zum 40. Jahrestag des Münchner Olympia-Attentats ist am 5. September im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck vorgesehen. „Ich stand hinter einem Vorhang mit einer geladenen Waffe, vor mir war nur ein Terrorist“, erzählte Shtorch vor einigen Monaten in München bei Dreharbeiten für eine Fernsehdokumentation für den Bezahlsender Biography Channel. Er hat die Geiselnahme hautnah erlebt. Der damals 25-jährige Sportschütze feuerte nicht - in der Hoffnung, die Verantwortlichen könnten das Drama beenden. „Seitdem frisst es sich in mich hinein: Ich wusste nicht, wieso habe ich ihn nicht erschossen? Hätte dann vielleicht einer mehr überlebt?“ Die Spiele werden nach einem Trauertag fortgesetzt, man will den Terroristen keinen Triumph gönnen. Mit „The Games must go on“, prägt Avery Brundage, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), den legendärer Satz. Doch das Sommermärchen von München ist zerstört. Das Scheitern der Befreiungsaktion mangels entsprechend ausgebildeter Sicherheitskräfte führt zur Gründung der Antiterroreinheit GSG 9. Die Gewalt traf Sicherheitskräfte, Olympia-Organisatoren und den Staat damals völlig unvorbereitet. Die Polizisten im Olympia-Park trugen Trainingsanzüge oder Straßenanzüge. Uniformen passten nicht ins Bild, nichts sollte an die Nazi-Spiele 36 Jahre zuvor in Berlin erinnern. Die Terroristen der Gruppe „Schwarzer September“ kommen ungehindert in das Olympische Dorf. Am frühen Morgen des 5. September klettern die acht Männer über den Zaun. Sie werden beobachtet, aber für heimkehrende Sportler gehalten. Die Türen zu den Wohnungen der Israelis sind nicht abgeschlossen. Mit Sturmgewehren bewaffnet dringen die Terroristen ein, nehmen Geiseln. „Gegen 4.30 Uhr hörte ich eine Explosion, wie ein Schuss“, erinnerte sich der israelische Ex-Ringer Gad Tsabary bei den Dreharbeiten. Er konnte fliehen. Doch die Zeit danach war für ihn der Horror: „Ich habe mich sehr schrecklich gefühlt.“ Die Attentäter sollen sich teils dilettantisch angestellt haben. Sie seien erst einmal an den Appartements der Israelis vorbeigelaufen und in einer oberen Etagen auf Sportler aus Hongkong getroffen, schrieb der „Spiegel“ kürzlich. Schon Wochen vor den Spielen gab es demnach auch Hinweise auf einen Terrorakt. So habe die deutsche Botschaft in Beirut am 14. August 1972 gemeldet, ein Vertrauensmann habe gehört, dass „von palästinensischer Seite während der Olympischen Spiele in München ein Zwischenfall inszeniert wird“. Doch niemand zog Konsequenzen. Die Terroristen verlangen die Freilassung von mehr als 200 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen sowie der deutschen Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Israel lehnt dies ab. Zum Schein wird dennoch verhandelt, immer neue Ultimaten laufen ab. Der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und andere bieten sich vergeblich als Ersatzgeiseln an. Die Terroristen verlangen, mit den Geiseln in den arabischen Raum ausgeflogen zu werden. Was außerhalb der Wohnungen abläuft, bekommen sie unterdessen per Radio und TV mit, auch einen Befreiungsversuch - man hatte vergessen, den Strom abzustellen. Die Unterhändler hoffen nun, die Täter am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck überwältigen zu können. Kurz nach 22.30 Uhr treffen die Terroristen dort ein. Doch die Aktion scheitert kläglich - unter anderem an zu wenigen Scharfschützen. Noch während am Flughafen geschossen wird, spricht ein Sprecher der Bundesregierung von einem guten Ausgang. Es folgen scharfe Vorwürfe, die GSG 9 als Anti-Terroreinheit wird aufgebaut. In einem ihrer größten Einsätze beendete sie 1977 in Mogadischu erfolgreich die Entführung des Flugzeugs „Landshut“ - ebenfalls durch palästinensische Terroristen. Vieles ist bis heute ungeklärt. Erst in diesem Sommer wurde bekannt, dass die Terroristen bei ihren Vorbereitungen von einem deutschen Neonazi unterstützt wurden. Von den Anschlagsplänen selbst will er nichts gewusst haben. Er habe auch gar nicht mehr wissen wollen, denn, wie er dem Bayerischen Rundfunk sagte: „Wer fragt, der lebt nicht so lange.“

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