Wenn Kinder in der Schule durch die Hölle gehen

Trier · Täglich werden Schüler in deutschen Schulen terrorisiert. Und nach Schulschluss geht der Alptraum oftmals im Internet weiter. Beleidigungen, Lügen und Gerüchte werden in einer ganzen Community verbreitet. Der Appell der Experten: Opfer müssen geschützt werden.

Trier. Anders als viele ihrer Mitschüler hasst Sarah (Name geändert) die Pause. "Du hast aber einen schönen Pulli an. Ist bestimmt aus der Kleidersammlung" ist einer der Sprüche, die sie ständig zu hören bekommt. Aber nicht nur verbal wird die 14-Jährige drangsaliert. Sie wird bespuckt, und im Internet werden Lügen über sie verbreitet. "Und ein Liebesbrief, den ich nie geschrieben habe, wurde veröffentlicht", sagt Sarah.
Besonders schlimm seien auch die Momente, wenn Gruppen in der Klasse gebildet würden. "Ich bleibe immer übrig", sagt sie tief traurig. "Und das mit der Spucke habe ich der Lehrerin erst gar nicht gesagt." Die wirke immer genervt, wenn Sarah Hilfe suche. "Sie meint, ich soll mich mehr anpassen."
Am liebsten würde der Teenager nicht mehr zur Schule gehen. Das Mädchen hat ständig Kopfschmerzen und Bauchweh. Sarah hat sich ihrer Mutter anvertraut. Daraufhin wollte diese mit den Eltern des Mädchens sprechen, das sie am meisten schikaniert. Das wollte Sarah nicht. "Richtig", sagt Anette Müller-Bungert, Schulpsychologin am Pädagogischen Landesinstitut in Trier und Mitglied der Projektgruppe "Mobbingfreie Schule". "Eltern sollten nicht an die Eltern der Täter herantreten. Denn diese decken das Verhalten ihrer Kinder häufig." Besonders gravierend sei in Sarahs Fall, dass die Lehrerin mitmache. "Dann kann der Lehrer das Problem nicht mehr lösen", sagt Müller-Bungert.
Generell sei Mobbing ein Thema, das mit dem gesunden Menschenverstand nicht mehr gelöst werden könne. Auch Streitschlichterprogramme griffen nur ganz früh, Anti-Gewalt-Projekte gar nicht. "Das Problem muss systemisch gelöst werden", sagt die Expertin. Der psychologische Fachausdruck dafür: Die Klasse bildet ein System; die Struktur der Klasse und die Struktur der Schule müssen betrachtet werden.
Die Münchener Ludwig-Maximilians-Universität hat herausgefunden, dass Mobbing kein Problem zwischen Opfer und Täter ist. "Es hat mit der gesamten Klasse zu tun", sagt Mechthild Schäfer. Sie forscht seit 16 Jahren zu dem Thema. Jeder in der Klasse, auch der scheinbar Unbeteiligte, spiele eine Rolle. Hinzu gekommen ist in den vergangenen Jahren das Cybermobbing: "Eine Beleidigung steht im Internet und ist für eine ganze Community zu lesen", sagt Anette Müller-Bungert. Man habe praktisch keine Kontrolle über Bilder und Nachrichten. Erschreckend sei die große Hilflosigkeit, mit der sowohl Eltern als auch Lehrer dem Thema Mobbing gegenüberstünden. Dabei sei es von zentraler Bedeutung, "dass das Opfer geschützt wird." Die Expertinnen betonen: "Alleine kann ein Kind aus der Mobbingstruktur nicht herauskommen." Eltern sollten die Lehrer einbeziehen, wenn das Opfer sich ihnen anvertraut hat oder wenn sie Mobbing bemerkt haben. Eine Methode sei das sogenannte No Blame Approach. "Ziel ist nicht zu wissen, was hat wer wann wo gemacht. Das Ziel ist vielmehr, eine positive Veränderung für das Mobbingopfer zu erzielen." Studien der vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass es das typische Mobbingopfer nicht gibt. "Jeder kann zum Opfer werden", sagt Schäfer. Von Mobbing unter Schülern spricht man dann, wenn ein Konflikt zwischen zwei oder mehr Schülern sich verfestigt hat. Es besteht ein Kräfteungleichgewicht. Das Opfer wird mindestens einmal in der Woche und über einen längeren Zeitraum hinweg verbal und körperlich angegriffen. Es findet alleine nicht mehr aus der Situation heraus. (Quelle: die Trierer Schulpsychologin Kerstin Sperber) Besonderheiten von Cybermobbing: Cybermobbing endet nicht in der Schule. Die Schikanen können zu jeder Zeit und damit auch im Privatleben stattfinden. Es gibt keine Kontrolle mehr, und Bilder und Nachrichten können immer wieder an die Öffentlichkeit gelangen. Der Täter kann aus der Anonymität heraus reagieren. (Quelle: Mustafa Jannan, ehemaliger Lehrer und Autor von "Das Anti-Mobbing-Buch")

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