Wie ein Schatten, der nicht weicht

TRIER. Jedes Klingeln an der Tür löst Angst aus, wenn das Telefon klingelt, wird sie panisch, auf der Straße ist sie unsicher, weil sie hinter jeder Ecke Harry (alle Namen von der Redaktion geändert) erwartet. Lara wird von einem Stalker belästigt. Damit Opfer wie sie Hilfe bekommen, will der Bundesrat den Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) noch verschärfen.

Nervös kauert Lara in einem kleinen Vorratsraum im Keller. Sie hört angespannt in die Stille hinein. Hin und wieder dringen Gemurmel und Wortfetzen durch die Mauern zu ihr hindurch. Eine Etage über ihr erklärt ihr Chef im Restaurant gerade Harry, Lara sei an diesem Tag nicht im Haus. Sie müsse nicht arbeiten. Doch Harry scheint ihm nicht zu glauben, hakt ständig nach, will warten, bis Lara kommt. Lara hat Angst. Schon wieder ist ihr Schulkamerad in dem kleinen Restaurant in der Nähe von Trier aufgetaucht, in dem die 17-jährige Schülerin jobbt. Immer noch bekommt sie Beklemmungen, wenn sie heute davon spricht. Das Mädchen war das Opfer eines Stalkers. Der Begriff kommt aus der englischen Jägersprache und bedeutet "heranpirschen". Stalker lauern ihren Opfern auf, überschütten sie mit Zuneigung und "Liebesbeweisen", bombardieren sie mit Anrufen, Briefen, Geschenken, E-Mails oder SMS, behelligen Verwandte und Freunde. Häufig werden Prominente von Stalkern belästigt, doch noch häufiger trifft es das Mädchen von nebenan oder den jungen Mann aus der Nachbarschaft. Das belegt eine neue Studie aus Großbritannien mit 1000 Befragten. "Zufall war das nicht", sagt die erwachsene Lara heute. Eigentlich war Harry für Lara ein "normaler" Schulkollege, mit dem sie "unbefangene Gespräche" führte "wie mit jedem anderen auch". Doch plötzlich war alles anders. Von einem Tag auf den anderen - ohne ersichtlichen Grund - wurde sie ihn nicht mehr los. "Er ist immer da aufgetaucht, wo ich war."Verschärfung für Gesetzentwurf

Ständig traf sie auf Harry. Überall. In der Schule waren die Begegnungen unausweichlich. Wenn sie nachmittags in einer anderen Stadt jobbte, tauchte er ständig auf. Auch in ihrem kleinen Dorf, von dem er 30 Kilometer entfernt wohnte. Selbst als sich Lara mit einer Freundin zu einem spontanen Wochenendausflug mit dem Zug verabredete, konnte sie ihren "Verfolger" nicht vergessen, ihn nicht abschütteln. Kaum war sie ein paar Stationen gefahren, sah sie ihn am Bahnsteig stehen. Um ihm nicht begegnen zu müssen, stieg sie aus und sprang in den nächsten Zug. Ziel: egal - nur weg von Harry. Unheimlich war ihr diese ständige Präsenz. Sie fühlte sich hilflos. Was sie besonders erschreckte, war die Tatsache, "wie sehr er sich mit meinem Leben auseinander gesetzt haben muss", sagt Lara. Er habe offenbar "wie ein FBI-Agent" hinter ihr hergeschnüffelt. Sie versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen, mied ihn, blockte all seine Versuche, Kontakt aufzunehmen, sofort ab. Familie, Freunde und Chef halfen ihr, verleugneten sie am Telefon, an der Haustür, am Arbeitsplatz. Wie ein Flüchtling wollte Lara ungesehen bleiben. Bei der Suche nach Hilfe haben es Stalking-Opfer schwer. Weil Stalking bislang keine Straftat ist, und sich penetrante Liebesbezeugungen nicht verbieten lassen, kann auch die Polizei wenig ausrichten. Häufig kann sie erst einschreiten, wenn es zu einer Straftat wie Körperverletzung oder Nötigung gekommen ist. Mit Hilfe des Gewaltschutzgesetzes können die Opfer zumindest Schutzanordnungen gegen die Stalker durchsetzen, wie das Verbot, sich der Wohnung des Opfers zu nähern. Ständige Annäherungsversuche

Lara wurde durch Harry eingeengt. Ihre Spontaneität und Unternehmungslust fielen den ständigen Annäherungsversuchen zum Opfer. Das Schlimme war für sie, "das Leben nach dem Stalker ausrichten zu müssen". Mit jedem Schritt vor die Tür und mit jedem Klingen des Telefons kam die Angst, Harry sei wieder da. Trotz der ständigen Annäherungsversuche machte Laras "Verfolger" keine Liebeserklärung oder sexuellen Anspielungen. Das Wort Liebe fiel nie bei den Gesprächen zwischen ihr und Harry. Der Stalker ließ den Freund seines Opfers allerdings deutlich spüren, dass er eifersüchtig war. Als Laras Freund einmal nach dem Unterricht vor der Schule auf sie wartete, wurde er plötzlich von hinten zu Boden geschlagen. Als er dort lag, grinste Harry ihn an. Er redete sich mit einer angeblichen Verwechslung heraus. Lara hatte große Angst davor, Harry einmal ganz alleine zu begegnen, "denn was dann passiert, kann man nicht wissen". Sie hatte Glück. Genau so plötzlich, wie die Verfolgung durch Harry anfing, hörte sie auf. Von einem Tag auf den anderen hatte sie nach einem halben Jahr ihre Freiheit zurückgewonnen.

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