Bewegender Dialog mit dem zweiten Ich

Saarburg · "Ich bin ein Kontinent" - unter diesem Titel erinnert das Bewegtbild-Theater von Martina Roth und Johannes Conen an die Dichterin Gertrud Kolmar, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Was auf der kleinen Bühne in der Saarburger Glockengießerei ablief, ging unter die Haut.

 Martina Roth ist im Stück „Ich bin ein Kontinent“ der in Auschwitz ermordeten Dichterin Gertrud Kolmar gleichzeitig auf der Leinwand und live auf der Bühne zu sehen. TV-Foto: Martin Möller

Martina Roth ist im Stück „Ich bin ein Kontinent“ der in Auschwitz ermordeten Dichterin Gertrud Kolmar gleichzeitig auf der Leinwand und live auf der Bühne zu sehen. TV-Foto: Martin Möller

Foto: Martin Möller (mö) ("TV-Upload M?ller"

Saarburg. Eine Leinwand, eine Leiter, im Hintergrund ein Gitarrist. Für das Bewegtbild-Theater von Martina Roth und Johannes Conen genügt die sparsamste Ausstattung überhaupt. Johannes Conens Bewegtbild-Technik braucht nicht mehr. Und mit Martina Roth steht eine Schauspielerin und Sängerin auf dieser Bühne, deren Bühnenpräsenz über eineinhalb Stunden nicht nachlässt.
Bewegtbild - das bedeutet Integration eines Videos in ein Standbild. So verbinden sich die Dynamik einer handelnden Person mit der Statik von Gegenständen. Das wäre für sich genommen nicht sonderlich aufregend. Aber die Technik ermöglicht die Kombination einer Person im Video mit derselben Person ganz real auf der Bühne. Das braucht Millimeterarbeit. Aber es lohnt sich.
Das Stück "Ich bin ein Kontinent" stammt von der jüdischen Dichterin Gertrud Kolmar, die ihrem Vater zuliebe in Deutschland blieb und 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Es schildert die Begegnung einer gemütskranken jungen Frau und einer Betreuerin. Es ist ein zweifaches Ich, das sich da präsentiert - auf der Leinwand die rationale, aber als Jüdin selbst bis ins Innerste bedrohte Erzieherin, auf der Bühne die kindliche Frau mit ihren seltsam surrealen Ideen. Da spielen sich Dialoge ab zwischen der mühsam aufrechterhaltenen Erwachsenenwelt und der kindlichen Perspektive, mit allem Bizzaren und höchst Subjektiven der Kinderwelt - visionär und zugleich unendlich zerbrechlich. Kolmars Technik, über die Figur der kindlichen Frau aus kleinen Dingen eine ganz neue Welt zu erschließen, orientiert sich an Else Lasker-Schüler, ihrer Weltflucht und ihrer Hingabe an Träume und Fantasien. So wie Lasker-Schüler vom "Prinzen von Theben" träumte, so heißt es bei Kolmar: "Ich bin ein Kontinent".
All das wäre vielleicht blass und unpersönlich geblieben ohne Martina Roth in ihrer Doppelrolle. Sie spielt vor allem das kindliche Wesen in diesem Stück mit einer Hingabe und einer Nuancierung, die faszinieren. Und zieht damit den Zuschauer immer tiefer hinein in die kindliche Welt. Und wenn am Ende erzählt wird, dass sie die Bahngleise entlangwanderte auf der Suche nach ihrem Geliebten und unter einen Zug geriet, dann verbreitet sich unter dem guten Dutzend Zuschauer ein Gefühl der Beklemmung, ja der Trauer. Ja, dieses Theater geht unter die Haut! mö

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