Die Reise zum Mittelpunkt der Erde - Eifeler Schriftsteller mit neuem Roman

Kall · Der neue Roman des Schriftstellers Norbert Scheuer führt uns durch das Urftland an den "Grund des Universums" - und zeigt erneut, dass in der Eifel die ganze Welt enthalten ist.

 Autor mit weit über die Eifel verzweigten Wurzeln: Norbert Scheuer. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

Autor mit weit über die Eifel verzweigten Wurzeln: Norbert Scheuer. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

Foto: (g_kultur

Kall "Wörter bewegen sich wie Staub in Sonnenstrahlen, berühren sich, und es ist, als flüsterten die Stimmen aller Gäste, die jemals in der Kneipe getrunken haben, ununterbrochen durcheinander."
Es gibt seltsamerweise Menschen, die sind für solche Sätze nicht empfänglich - sonst wäre Norbert Scheuer längst Bestseller-Autor. Für alle anderen haben wir eine sehr gute Nachricht: Gestern ist Scheuers neuer Roman erschienen. Er ist ein meisterlich konstruiertes Kaleidoskop der Geschichten, die dem Autor nur so aus den Fingern zu perlen scheinen.
Zuletzt, in "Die Sprache der Vögel", schickte der Eifeler Schriftsteller (nicht zu verwechseln mit "Eifel-Schriftsteller") seinen Protagonisten Paul Arimond als Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan. Paul überlebte dort einen Anschlag, schwer verletzt - und ist wieder daheim in Kall. Dorthin ist Scheuer nun auch als Autor zurückgekehrt, mit seinem neuen Roman "Am Grund des Universums".
Das Buch ist nicht einfach eine Fortsetzung von Pauls Geschichte, auch wenn sie anrührend weitererzählt wird. Den Rahmen liefert diesmal ein immenses Vorhaben: Zwei Unternehmer planen die Vergrößerung der Staumauer, um aus dem See ein Touristenparadies zu machen. Und während sie dort Millionen versenken, fragen sich die alten Eifeler, die jeden Tag im Café sitzen, was bei der Trockenlegung des Stausees alles zum Vorschein kommen wird. Es sind, so viel kann man verraten, die Sedimente all jener Geschichten, die sich die Leute aus dem Dorf erzählen.
Wie immer gilt: Man muss kein einziges seiner vorherigen Bücher gelesen haben, um in Scheuers Welt einzusteigen. Wir lernen neue Charaktere kennen, begegnen etlichen alten Bekannten, und doch ist die Hauptfigur das Dorf im "Urftland", das in Scheuers Buch zu einem ähnlich magischen Ort wird wie William Faulkners Yoknapatawpha County. Wie Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio". Oder, warum nicht: J.R.R. Tolkiens Auenland. Der Vergleich ist gar nicht so verrückt, denn in Scheuers Urftland kann man genauso herrlich herumstromern: Immer wieder stößt man auf Zauberisches. Wie in der Geschichte einiger Kaller Jungs, die sich am ersten Tag der Sommerferien auf die Suche nach dem geheimnisvollen Krähenloch, einer Höhle im Bergbaugebiet, begeben und dort eine aufregende Entdeckung machen werden: "Das Floß trieb langsam mit der Strömung flussabwärts, die Zweige der Uferbäume überspannten das Wasser mit dichtem Blattwerk, durch das nur hin und wieder vereinzelte Sonnenstrahlen drangen und die Wasseroberfläche erreichten, wo sie irisierende Farbenspiele erzeugten."
Oder die Science-Fiction-Episode, in der sich "der Betriebselektriker Lünebach" per selbstgebauter Rakete in den Weltraum katapultiert, von unterwegs kleine Notizzettel mit seinen Beobachtungen auf die Eifel runterwirft - und tatsächlich den Grund des Universums entdecken wird. So fügt sich der Roman Seite um Seite zur kunstvoll komponierten Sammlung abenteuerlicher Erzählungen, in denen manchmal die Grenze zwischen Erlebtem und Ersponnenem verschwindet. Nur eins verschwindet nie: der Respekt des Autors vor seinen Charakteren. Manche mögen sich lächerlich machen, vorgeführt werden sie nicht.
Scheuer hält das alles souverän zusammen, nicht zuletzt dank der Szenen in der Cafeteria des Kaller Supermarkts (allein dafür, dass Scheuer diesen unfassbar profanen Ort zu einem literaturwürdigen Schauplatz erhebt, sollte er mal einen Preis bekommen): Dort hocken die alten Eifeler, die "Grauköpfe", wie ein antiker Chor und kommentieren das flirrende Geschehen, sinnieren, spekulieren, scherzen. Als sich ihnen einer anschließen und künftig auch dabeisitzen will, kriegt er zu hören: "Da musst du aber gut lügen können."
Norbert Scheuer kann ganz wunderbar lügen. Nur kommt bei ihm eben immer die Wahrheit durch. Und sie funkelt so melancholisch-schön, von so großer Sehnsucht und, besonders in diesem Buch, so hauchfeinem Humor durchwirkt wie bei kaum einem anderen Schriftsteller.
Termin: Norbert Scheuer liest am Mittwoch, 4. Oktober, im Rahmen der Lit.Eifel in der Hillesheimer Eifel-Filmbühne aus seinem neuen Roman.

Norbert Scheuer: Am Grund
des Universums. CH Beck,
240 Seiten,
19,95 Euro.
Extra: ZUR PERSON

Die Reise zum Mittelpunkt der Erde - Eifeler Schriftsteller mit neuem Roman
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Norbert Scheuer ist 1951 in Prüm geboren und wuchs an mehreren Orten in der Eifel auf, in der auch nahezu sämtliche seiner Bücher spielen. Er arbeitet als Programmierer bei der Telekom. Sein voriger Roman "Die Sprache der Vögel" war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, mit "Überm Rauschen" war er in der Schlussrunde für den Deutschen Buchpreis. Scheuer erhielt unter anderem den 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, den Düsseldorfer Literaturpreis und den Georg-K.-Glaser-Preis. Sein neuer Roman ist unter den sechs Finalisten für den Wilhelm-Raabe-Preis, der im November in Braunschweig verliehen wird. Zusammen mit seiner Frau Elvira hat Norbert Scheuer zwei Kinder und lebt in Kall-Keldenich und zeitweise in Kyllburg.

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