Andreas Ammer und die Kulturstiftung Weshalb niemand über TikTok die Nase rümpfen sollte

Trier · Kultur breiter aufstellen, Schluss machen mit elitären Events einer etablierten Hochkultur – das ist nach Meinung von Andreas Ammer, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung Trier, überfällig. Warum der Abbau von Barrieren im Kulturbetrieb dringend geboten ist, wieso auch TikTok Kultur ist und mit welchen Initiativen sich die Stiftung für kulturelle Teilhabe stark macht.

Engagiert sich an der Spitze der Kultustiftung Trier: Andreas Ammer.

Engagiert sich an der Spitze der Kultustiftung Trier: Andreas Ammer.

Foto: TV/Anne Heucher

Warum muss eigentlich erst etwas Schlimmes passieren, bevor Menschen zusammenrücken, einander zuhören, sich als Teil einer Gemeinschaft verstehen? Das fragt sich Andreas Ammer immer wieder. Der Trierer Rechtsanwalt hatte nach der Amokfahrt am 1. Dezember 2020 einen Geist des Zusammenhalts in der Stadt gespürt, den er sonst oft vermisst. „Es war mir immer so, dass ich diese Stadt zu wenig spüre – als Gesellschaft, als Zusammenhalt, als Personen, die ein gemeinsames Interesse haben, weil sie gemeinsam in dieser Stadt leben, trauern, feiern, lachen.“

Ein brisantes Manko – nicht nur, weil eigentlich jedeR BürgerIn ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat, sondern weil in der digitalisierten Welt die Gefahr groß ist, dass Menschen komplett abgehängt werden.

Seit 2010 engagiert sich Ammer in der Kulturstiftung Trier, seit 2017 ist er ihr Vorstandsvorsitzender. „Wir möchten Bürger dieser Stadt animieren, auch an die Kultur zu denken, weil sie ein so integrierendes Moment ist und weil es nicht sein darf, dass wir uns nur erleben, wenn so was Schlimmes passiert“, sagt er. Über das Vehikel der Kultur ließen sich Barrieren abbauen und viel mehr tun, als es bloße finanzielle oder soziale Hilfe vermag.

Denn die TeilnehmerInnen erlebten Gemeinschaft – ob mit Musik, Theater oder Kunst. Genau hier setzt das Wirken der Kulturstiftung an, die sich seit 18 Jahren dafür einsetzt, Kunst und Kultur in Trier zu fördern. Motto: „Kultur stiften, Begegnung schaffen“. Das stärke die Gesellschaft.

Wenn etwa ein Dutzend bunt bemalte Klaviere auf Plätzen und Wegen aufgestellt werden, damit Passanten in die Tasten greifen („My urban piano days“), wenn auf dem Viehmarkt ein Rasen („Flying grass carpet“) für Auftritte von Bands und Begegnungen von BürgerInnen ausgerollt wird oder die Initiative „30 für Trier“ ein Benefizkonzert für die coronagebeutelte freie Szene auflegen will – immer da ist die Kulturstiftung im Hintergrund aktiv. Sie hilft mit Geld, mit Kontakten, die zu Ermöglichern führen, sie schafft Raum oder eine Bühne für KünstlerInnen, die auftreten oder ausstellen wollen.

Neben ungezählten einzelnen Projektförderungen sind es vier große Säulen des Engagements – und alle haben die Kultur im Namen: Kultur-Engel, Experten, die Künstlern mit ihrem Know-How als eine Art Kultur-Coachs helfen, Kultur-Aktien, mit denen hochwertige Reproduktionen von ausgezeichneten Kunstwerken aus der Region für den guten Zweck, vor allem für sozial benachteiligte Kinder, aufgelegt und zu 50 Euro pro Stück verkauft werden, die Kultur-Euro, bei denen schönes Handwerk aus Trier vom Wein über den Kaffeebecher bis zum Schmuckdesign mit einem fixen Spendenanteil verkauft wird, und das Kinder-Kultur-Stipendium, bei dem Unterstützer ein Jahr lang Musikunterricht samt Leihinstrument für ein Kind übernehmen. In den Genuss von letzterem kamen übrigens auch vier Kinder aus der Ukraine.

Der Blick über die Grenzen könnte uns guttun, ist Ammer, der selbst einmal in New York lebte, überzeugt. „Wenn Menschen in die Carnegie Hall gehen, sehen Sie alles“, sagt er und meint damit: nicht nur eine gut gekleidete und gebildete Elite wie hierzulande. „Wir können von vielen anderen Ländern lernen.“

Und so geht es bei der Kulturförderung „nicht darum, Menschen in Hochkultur einzuführen“, sondern vielmehr, „den Kulturbegriff aufzuweichen oder zu erweitern“. Niedrigschwellig werde hierzulande meist gleichgesetzt mit mangelnder Qualität („Der Comedian macht es wegen dem Geld, und der Kabarettist macht es wegen des Geldes.“) – zu Unrecht. Dabei verliere die ohnehin „völlig überalterte“ Kulturelite in Konzerten und Museen die jungen Leute. „Wir verlieren die – auch teilweise mit unserem Begriff von Kultur. Weil wir sagen, Goethe, Schiller, der alte Bildungsbürger-Kanon, der muss gelebt werden. Ihr müsst vor den mittelalterlichen Gemälden und vor der sakralen Kunst strammstehen.“

Bloß also nicht die Nase rümpfen über TikTok! Schließlich kommuniziert eine ganze Generation über das Medium. „Es ist auch Kultur!“ Wichtiger wäre, sich auch in der Kunst damit auseinanderzusetzen, warum es junge Menschen so wichtig ist, sich in den sozialen Medien darzustellen. Und nicht über sie zu reden, sondern mit ihnen. Sich auf Neues einzulassen statt nur Altes zu pflegen. Deshalb stehen Kinder, Jugendliche und Senioren bei der Kulturstiftung besonders im Fokus.

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