Macher und Meinungsführer

Frankfurt · Mehr als 20 Jahre hat Frank Schirrmacher das deutsche Feuille ton geprägt. In seiner Funktion als Kulturchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) war er in dieser Zeit Initiator zahlreicher gesellschaftlicher Debatten.

Frankfurt. Um es vorwegzunehmen: Dieser Nachruf kommt zu früh. Noch nicht einmal ein Jahr nach dem Tod seines engen Freundes und Förderers Marcel Reich-Ranicki starb Schirrmacher vollkommen überraschend. Damals im September 2013 beim Schreiben seiner Lebensbesprechung Reich-Ranickis zitierte er ihn mit seiner Kernanforderung für Nachrufe: "Herrgott, Sie müssen zeigen, was der Kerl taugte, nicht, wo er zur Schule ging!" Wohlan, Frank Schirrmacher, das mag auch für Sie gelten.
Die eigentliche Karriere Schirrmachers ist nämlich schnell beschrieben. Sein berufliches Leben war die FAZ. Bereits 1985 fing er dort als Feuilletonredakteur an. Vier Jahre später übernahm er als Nachfolger von Reich-Ranicki die Leitung des Ressorts Literatur und literarisches Leben. 1994 schaffte er dann das, was seinem Ziehvater immer verwehrt blieb: die Berufung in das Herausgebergremium der Zeitung. Mit gerade einmal 35 Jahren war er für Feuilleton und Wissenschaft verantwortlich. So jung hatte es bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand in dieses Gremium geschafft.
Seine Turbokarriere hatte Schirrmacher vor allem zwei Dingen zu verdanken. Erstens, seiner Besessenheit für das Zeitungsmachen und zweitens einem durch nichts zu erschütternden Selbstbewusstsein. Es gab Schirrmacher immer in zwei Versionen. Die geniale Variante entschied sich, die Buchstabenfolge des menschlichen Genoms anlässlich seiner Entschlüsselung seitenlang im Feuilleton abzudrucken. Auf der anderen Seite war er ein Intellektueller mit Geltungsbewusstsein. Seine politische Überzeugung nannte er einmal "konservativ aus Leidenschaft". Mit seinen Worten konnte er vernichten. Zusammen mit Reich-Ranicki führte er einen Kreuzzug gegen Martin Walser wegen angeblicher antisemitischer Äußerungen in dessen Roman "Tod eines Kritikers".
Mit seinen Überzeugungen prägte Schirrmacher zahlreiche gesellschaftliche Debatten im Land, etwa zur Bedeutung der Gentechnik, dem demografischen Wandel und der digitalen Welt. Seine Bücher waren Bestseller, weil er es verstand, komplexe Materien für ein breites Publikum aufzubereiten. Mit den von ihm angestoßenen Debatten war er zeitweise eines der führenden Feindbilder der Linken, aber gleichzeitig auch der Meinungsführer der bürgerlichen Mitte.
Frank Schirrmacher starb am Donnerstag überraschend mit 54 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts. Er hinterlässt nach Verlagsangaben seine Ehefrau und zwei Kinder.

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