Vom Flussufer zum Straßenrand

Kall-Keldenich · "Peehs Liebe" heißt das neue Buch von Norbert Scheuer. Der Roman ist von heute an im Handel und zeigt, dass dem Autor aus der Eifel die Geschichten nicht ausgehen.

 Im Netz der Straßen: Norbert Scheuers neuer Roman ginge auch als „Road Novel“ durch. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

Im Netz der Straßen: Norbert Scheuers neuer Roman ginge auch als „Road Novel“ durch. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

Kall-Keldenich. Kall, Eifel: Scheuer-Land. Das Personal ist bekannt, jeder Roman oder Erzählband dieses Autors wirkt wie ein großes Familienfoto - alle sind sie wieder dabei, nur stellt er immer eine andere Figur in den Vordergrund. Scheuer trägt seine Eifel wie einen gut sitzenden Anzug, in dem er mit jedem Buch eine weitere Tasche voller Geschichten entdeckt und erkundet. Und Scheuers Anzugtaschen sind tief.
Diesmal erzählt er das Leben von Rosarius Delamot, von Anfang bis Ende: Der Vater ist früh verschwunden, die Mutter zieht Rosarius alleine groß - wobei dieser seltsame Junge zunächst weder wachsen noch sprechen kann oder will. Ganze 23 Jahre nimmt er sich Zeit, bis er dann doch noch einen Schuss nach oben macht und sein erstes Wort sagt. Bis dahin summt er vor sich hin. Er sei eben ein bisschen zurück, sagen die Leute, aber das stimmt nur bedingt: Rosarius ist anders, ja, aber zugleich ein hochsensibler Beobachter, dem nichts entgeht und der nichts davon vergisst.
Träumend auf Achse


Der ferne, mutmaßliche Vater: ein Archäologe, der zwischen der Eifel und Afrika nach alten Römerstraßen sucht. Durch seine Aufzeichnungen, in Zwischenkapiteln wiedergegeben, rieseln Wüstensand und Abenteuer. Überhaupt, die Straßen: ein Motiv, das sich - nach dem Fluss im Vorgängerroman "Überm Rauschen" - wie ein Netz durch "Peehs Liebe" zieht, denn auch Rosarius ist immer wieder auf Achse, mit Karl Höger, der ihn in seinem LKW auf den Touren zwischen Steinbruch und Zementwerk mitfahren lässt. So kurven sie umher und fantasieren sich dabei durch die ganze Welt, rollen über kalifornische Küstenstraßen, durch Urwälder, Wüsten und das Nildelta.
Rosarius ist ein guter Beifahrer - auch im Wagen von Vincentini, bei dem schon im Namen etwas wunderbar Windiges anklingt. Dieser Vincentini, wie Rosarius aus früheren Büchern bereits bekannt, tourt mit seinem summenden Sozius über die Eifeldörfer und versucht, den "Perseus" an den Mann zu bringen: ein elektrisches Akupunkturgerät von zweifelhafter Wirkung. Unzweifelhaft aber die Wirkung Vincentinis auf die Frauen, überstürzte Abreisen inbegriffen, wann immer die Ehemänner unverhofft aufkreuzen.
Das Schöne und das Schlimme


Rosarius, ein Außenseiter, aber wer wäre das nicht in Scheuers Romanen. Oder im wirklichen Leben. Und doch schenkt ihm der Autor ein wenig Glück; nicht nur mit Kindheitsliebe Petra ("Peeh"), sondern auch mit Annie, die ihn während seiner letzten, im Altenheim verbrachten Jahre, pflegt und ins Herz schließt. Hinzu kommen ein paar sportliche Siege, auch wenn Rosarius sie nicht allzu lange auskosten kann. Aber so ist es doch: "Vielleicht geht es, wenn es schön ist, immer besonders schnell, so schnell, dass man sich an vieles Schöne nicht mehr erinnert, wenn es wieder schlimmer im Leben wird." Auch in "Peehs Liebe" wird es zwischendurch schlimm, aber Scheuer gönnt dem Leser dann doch ein Ende, das man als ziemlich happy bezeichnen darf.
"Peehs Liebe" ist leichter zugänglich, unter dieser dank Scheuers Sprache melancholisch schimmernden Oberfläche aber nicht weniger sorgfältig gebaut als sein großer Kritikererfolg "Überm Rauschen" vor drei Jahren. Es gibt unterschiedliche Zeitebenen und Erzählperspektiven, manches bleibt in der Schwebe, nicht immer ist klar, ob Rosarius träumt oder sich tatsächlich erinnert, Hölderlins Roman "Hyperion" wird häufig zitiert - viel Konstruktionsholz, aber das alles fügt sich zu einem wundervoll lesbaren, berührenden Buch: "Ich habe immer alles geglaubt, wenn es nur schön erzählt war", sagt Rosarius. Das gilt ganz besonders für "Peehs Liebe". Willkommen in Scheuer-Land.
Norbert Scheuer, Peehs Liebe, 220 Seiten, 17,95 Euro. Verlag C.H.Beck, München.
Extra

Norbert Scheuer hat in seinem neuen Roman einen Schatz versteckt: eine Kiste voller Scheine, verbuddelt irgendwo in der Nähe von Kall nach einem Lohngeldraub. Die Suche danach zieht sich durch das Buch, bis er am Ende ... aber das soll nicht verraten werden. Eine versteckte Geldkiste und dazu eine Hauptfigur, die nicht ganz bei Sinnen ist - beim Lesen kommen einem zwei völlig unterschiedliche Bücher in den Sinn: "Die Schatzinsel" von Robert Louis Stevenson und "Schall und Wahn" von William Faulkner, in dem der geistig behinderte Benjamin Compson als Erzähler auftritt. Scheuer, darauf angesprochen, atmet durch: "Schall und Wahn - das ist mein Lieblingsbuch. Ich habe bei diesem Roman zwar keine Sekunde daran gedacht. Aber es ist schon drin." Und auch Stevensons Schatzinsel habe ihre Spuren hinterlassen: "Eine Schatzsuche, das ist ja auch so eine Kindheitsgeschichte ... Da war immer diese Vorstellung: Du schreibst einmal ein Buch, das die Schatzinsel in die Gegenwart bringt. Irgendwo liegen bei mir noch die Anfangskapitel herum." fplExtra

Der Autor Norbert Scheuer wurde 1951 in Prüm geboren. 1994 erschien sein Erzählband "Der Hahnenkönig", 1997 eine erste Gedichtsammlung ("Ein Echo von allem"), 1999 sein erster Roman "Der Steinesammler". Weitere Bücher: "Flussabwärts" (2002), "Kall, Eifel" (2005), "Überm Rauschen" (2009) und "Bis ich dies alles liebte" (Gedichte, 2011). Der vielfach ausgezeichnete Autor wohnt in Kall-Keldenich (Kreis Euskirchen). fpl

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