Wiedergelesen - Lieblingsbücher

Sherman McCoy hat alles. Eine Frau und eine wundervolle kleine Tochter, einen von purem Adrenalin gesteuerten Job an der Börse, den damit verbundenen Reichtum und Ruhm und eine stabile Position in der feinen Gesellschaft der Stadt New York.

Wiedergelesen - Lieblingsbücher
Foto: (g_kultur

Er ist die Verkörperung des Erfolgsmenschen der frühen 1980er Jahre. Doch dann gerät der im Kern nicht schlechte, aber naive und egoistische McCoy in die Fänge des Systems, das ihn so hoch steigen ließ. Und sein Sturz ist höllisch tief. "Fegefeuer der Eitelkeiten" (Original: The Bonfire of the Vanities) ist Tom Wolfes ultimativer Roman über New York, die Schattenseiten und tiefen Abgründe einer Stadt und ihrer Bewohner. Das Paradies des Sherman McCoy wird zur Hölle, aus der er nicht entkommen kann, weil er sie nicht versteht. Als er seine Geliebte - eine unerträglich dämliche und oberflächliche Südstaatenschönheit und die Frau eines senilen Millionärs - vom Flughafen abholen will, verfährt er sich und landet in der Bronx, die er als privilegierter Park-Avenue-Bewohner ebenso wenig kennt wie den Dschungel Vietnams. Aus anfänglichem Unbehagen wird Panik. Als McCoy sich und seine Tussi bedroht sieht, startet er mit seinem Mercedes durch und fährt einen dunkelhäutigen Jugendlichen an. Damit beginnt seine Höllenfahrt. Ein korrupter Prediger, ein völlig talentfreier Klatschreporter, ein Boulevardmagazin mit Schlagzeilen wie "Oma skalpiert und beraubt" und ein publicitysüchtiger Staatsanwalt machen aus McCoys Fall einen Kreuzzug. Ein reicher Weißer verletzt einen Jungen der Unterschicht und flüchtet - das ist die Chance der Justiz, ihre Überparteilichkeit klar zu beweisen. Und außerdem sind die Stimmen dieser Unterschicht ein wichtiger Faktor bei der Wiederwahl. Der hilflose Börsenmakler weiß nicht, wie ihm geschieht, als er seinen Job, jegliches Ansehen und schließlich auch seine Familie verliert. Die wenigen Gerechten, ein Richter und ein New Yorker Polizist, wollen das Unheil verhindern, gehen aber chancenlos im nach Blut schreienden Mob unter. Unfassbare Wucht hat die Szene, in der Tom Wolfe die Verhaftung des Sherman McCoy schildert. Tom Wolfes Schreckensszenario packt den Leser mit einer enormen atmosphärischen Dichte und einer kunstvollen Mischung aus Dialogen, den Gedankengängen der Figuren, journalistischem Realismus und schwärzester Satire. Nicht nur McCoy erlebt eine Höllenfahrt - der Leser ebenfalls. Jörg Pistorius Tom Wolfe: Fegefeuer der Eitelkeiten, Rowohlt, 926 Seiten, 12,99 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Vom erwischt werden
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael BoltonVom erwischt werden
Zum Thema
Aus dem Ressort