Keine Nachfragen zugelassen: Pressekonferenz zum Missbrauchsfall

Altenkirchen · Der Kreis Altenkirchen wollte in die Offensive gehen, die jahrelange gewissenhafte Arbeit des im Fall Fluterschen in die Kritik geratenen Jugendamtes herausstellen, detailliert alles darlegen, was er über die familiären Umstände von Detlev S. und die mutmaßlichen Missbrauchsfälle wusste – und zog sich dennoch in einer fragwürdigen Pressekonferenz den Zorn der bundesweiten Medienwelt zu.

(RZDie 25 Minuten kurze Veranstaltung gerät am Dienstag im Kreishaus zur Farce, weil Landrat Michael Lieber keine einzige Nachfrage zu- und damit mehrere Dutzend Journalisten und Kamerateams von Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern aus ganz Deutschland wütend zurückließ.

Und als sich Lieber samt Kreisvorstand, Presseabteilung und Jugendamtsleiter nach dem Verlesen einer sechs Seiten langen Stellungnahme wortlos vom großen Sitzungssaal ins angrenzende August-Sander-Zimmer verabschiedete und hinter verschlossenen Türen verweilte, machten die Medienleute ihrem Zorn Luft. „Wenn sich in der Verwaltung niemand etwas vorzuwerfen hat, hätte sie auch Nachfragen zulassen können“, war die gängige Meinung. Die Kritik reichte von „das gibt es doch gar nicht“ über „das habe ich noch nie erlebt“ oder „das erinnert mich ans Politbüro der DDR“ bis zu „das hätte man auch mailen können“. Da spielte es auch keine Rolle mehr, dass Lieber zu Beginn sehr wohl betonte, dass er wegen der „sehr sorgfältigen rechtlichen Prüfung“ keine weiteren Stellungnahmen abgeben wird.

In der Erklärung stellte sich der Landrat erwartungsgemäß erneut hinter die Arbeit des Kreisjugendamtes. Detlef S. habe ein System der völligen Abschottung der ihm zur Last gelegten Taten nach innen und nach außen eingerichtet, das von keiner Behörde aufgebrochen werden konnte. Lieber: „Nicht von der Staatsanwaltschaft, nicht von der Polizei – und auch nicht vom Jugendamt.“ Dennoch habe er sich entschlossen, eine neutrale Persönlichkeit mit einer Untersuchung zu beauftragen, ob es Fehler oder Versäumnisse bei der Behandlung des Falles durch das Jugendamt gegeben hat. Dabei handelt es sich um Karl-Heinz Held (Wiesbaden), bis zu seiner Pensionierung 25 Jahre Richter am Familiensenat des Oberlandesgerichts Frankfurt.
Landrat Lieber geht davon aus, dass die Untersuchung zur vollständigen Rehabilitierung des Amtes, seines Leiters und seiner Mitarbeiter führen wird, sagte aber auch: „Sollten wider Erwarten Versäumnisse festgestellt werden, sind Konsequenzen zu ziehen.“

Die Erklärung legte dar, dass Vorwürfe gegen Detlef S. wegen körperlicher Misshandlung seiner beiden Stiefkinder Natascha und Björn erstmals 1998 beim Jugendamt aktenkundig wurden. Die Staatsanwaltschaft Koblenz habe die Ermittlungen damals jedoch eingestellt, da ärztliche Untersuchungen die Vorwürfe nicht bestätigten und die beiden damals 15-Jährigen bestritten, vom Stiefvater misshandelt worden zu sein. Ebenfalls eingestellt wurden Ermittlungen aus dem Jahr 2002, wonach Detlef S. seine damals elf Jahre alte leibliche Tochter misshandelt haben soll.

Da es bei der im Jahr 2000 von Detlef S. adoptierten Stieftochter Natascha, mit der er in der Folge acht Kinder zeugte, keinerlei Hinweise auf sexuelle Misshandlungen oder Vergewaltigungen gegeben habe, gab es für das Jugendamt auch keine rechtliche Handhabe für ein Einschreiten, so Lieber.

Denn einem Adoptivvater sei es nicht verboten, seine nicht leibliche Adoptivtochter zu heiraten oder mit ihr Kinder zu zeugen, wenn dies einvernehmlich geschieht. Dann werde lediglich die Adoption aufgehoben.

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