„Willkommenskultur nicht aufs Spiel setzen“: Interview mit Grünen-Fraktionschef im Landtag - Zustimmung zu Asylpaket im Bundesrat unter Bedingungen

Mainz · Die rheinland-pfälzischen Grünen tun sich schwer, dem Asylpaket, über das am Freitag im Bundesrat entschieden wird, zuzustimmen. Daniel Köbler, Fraktionschef der Grünen im Landtag, fordert im TV-Interview Nachbesserungen. Die Fragen an ihn stellte unser Redakteur Bernd Wientjes.

Bislang haben sich die Grünen geweigert, weitere sichere Herkunftsländer anzuerkennen. Hat sich an dieser Haltung etwas geändert?
Daniel Köbler: Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ist und bleibt reine Symbolpolitik. Was wir brauchen, sind pragmatische Lösungen, um mit den vielen Flüchtlingen seriös umgehen zu können. Die Menschen, die heute zu uns kommen, stammen zum allergrößten Teil nicht aus dem Westbalkan, sie kommen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Da hilft dieses Instrument niemandem weiter.

Ein weiterer Knackpunkt aus Sicht der Grünen: Die Aufenthaltsdauer in den Aufnahmeeinrichtungen soll verlängert werden. Halten Sie das für machbar?
Köbler: Unsere Landesregierung hat in Rekordzeit die Zahl der Plätze auf heute über 12.000 erhöht. Dennoch ist es eine riesige Herausforderung, jeden Tag zwischen 400 und 800 Menschen aufzunehmen und einen vernünftigen Platz für sie zu finden. Bis heute klappt das. Wenn diese Menschen sechs Monate in diesen Erstaufnahmen bleiben sollen, müssten wir die Kapazitäten von heute auf morgen mindestens verdoppeln. Wir werden das in Rheinland-Pfalz so nicht tragen können. Genau wie viele andere Länder das ebenfalls nicht können.

Welche Punkte in dem Asylpaket können Sie als Grüne denn mittragen?
Köbler: Der wichtigste Punkt ist, dass die Asylverfahren endlich beschleunigt werden sollen. Es ist untragbar, dass manche Menschen auch hier in Rheinland-Pfalz Monate warten müssen, bis sie überhaupt einen Asylantrag stellen können. Die legalen Einwanderungsmöglichkeiten vom Westbalkan nach Deutschland werden uns helfen, die Menschen dort wissen, dass ein Asylverfahren kein Weg für sie ist. Jetzt haben sie eine Alternative.

Was ist aus Ihrer Sicht noch positiv an dem Paket?
Köbler: Auch die verbesserte Integration in den Arbeitsmarkt, der Zugang zu Sprachkursen und das Wohnungsbauprogramm für Kommunen sind ganz wichtige Punkte für uns in den Ländern. Gerade für unsere Kommunen ist es aber unerlässlich, dass endlich eine dauerhafte finanzielle Beteiligung des Bundes an den Kosten kommt.

Können die Grünen in der rheinland-pfälzischen Landesregierung dem Paket bedingungslos zustimmen?
Köbler: Das Gesetz darf keinesfalls hinter die Beschlüsse der Ministerpräsidenten und der Bundesregierung zurückfallen. Der Gesetzentwurf des Bundes tut dies aber. Wir werden weiter Druck machen und auf Verbesserungen setzen.

Wie stehen Sie zu den nun ins Gespräch gebrachten Transitzonen?
Köbler: Flüchtlinge sind keine Verbrecher, die wir wochenlang in Lagern einsperren dürfen. Das ist ein schwerer Eingriff in Menschenrechte. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie man an unseren Grenzen für Tausende und Abertausende von Menschen diese Haftlager errichten will. Dieses Bedienen des Stammtischs muss endlich aufhören. Das Bild, Flüchtlinge wären Bittsteller, vor denen wir Angst haben müssten, das trägt zum Kippen der Stimmung bei. Dabei ist es richtig, dass die allermeisten Flüchtlinge traumatisierte Menschen sind, die aus schlimmsten Krisenländern zu uns kommen und ihre Angehörigen verloren haben. Das sind keine Bittsteller, das sind Menschen, denen wir helfen müssen.

Sie haben vergangene Woche im Landtag Frau Klöckner als Brandbeschleuniger bezeichnet. Bereuen Sie die Wortwahl oder stehen Sie weiter zu der Attacke?
Köbler: Es geht darum, dass man nicht beklagen darf, die Stimmung könnte kippen und zeitgleich genau daran mitarbeitet. Julia Klöckner hat in der Vergangenheit gegen Muslime und in der Diskussion um die Flüchtlinge immer wieder Ressentiments geschürt. Damit muss endlich Schluss sein. Wir beobachten mit großer Sorge eine Zunahme rechter Umtriebe und Straftaten. Es stellt sich die Frage, in welchem Land wir leben wollen. Ich erlebe eine großartige Willkommenskultur, die dürfen wir nicht aufs Spiel setzen.

Trotzdem gibt es eine zunehmend kritische Haltung der Bevölkerung zu weiterem Zuzug von Flüchtlingen und weiteren Aufnahmeeinrichtungen.
Köbler: Wir erleben weiterhin eine riesige Hilfsbereitschaft vor Ort. Wir müssen diese Stimmung aufrecht halten. Es gehört aber zur Ehrlichkeit, dass wir dringend auf zusätzliche Unterkünfte angewiesen sind. Vor allem auf winterfeste Unterkünfte. Wir werden nicht riskieren, dass Menschen im Winter auf der Straße schlafen müssen. Dafür haben die Menschen auch ein hohes Verständnis. Es ist unsere wichtigste Aufgabe, die Herausforderungen zu schaffen, ohne die Menschen zu überfordern. Das fordert uns erst mal, aber das schaffen wir.

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