Glaube Von „Knäckebrot“ und Todgeweihten

Trier · Das Trierer Bistumsarchiv rettet schrittweise das Wissen der Pfarrarchive – mehr als 10 000 Kirchenbücher liegen derzeit dort.

 Sabine Golinski restauriert in Trier Akten und Amtsbücher aus Pfarrarchiven.

Sabine Golinski restauriert in Trier Akten und Amtsbücher aus Pfarrarchiven.

Foto: Bistum Trier/Inge Hülpes

Routiniert wendet Sabine Golinski ein schmales Paket in ihren Händen und begutachtet es fachmännisch. Bereits an der Verpackung erkennt sie, dass sie dieses Päckchen besser nicht ohne Schutz öffnet. Während sie blaue Gummihandschuhe überstreift und auf einen mannshohen Kasten zugeht, der in der hinteren Ecke der Restau­rierungs­werk­statt steht, erklärt Golinski, weshalb: „Anhand der Verpackung können wir schon erkennen, um welche Art von Schaden es sich wahrscheinlich handelt. Mechanische Beschädigungen am Papier stellen kein Gesundheitsrisiko dar, bei biologischen Schäden sieht das schon wieder anders aus.“ Hier im „Duisburger Hof“, am Fuß der Weinberge in Ruwer-Eitelsbach, befindet sich die Außenstelle des Trierer Bistumsarchivs. In dem ehemaligen Hofgut restaurieren die 37-Jährige und ihr Kollege Peter Runkel Akten und Amtsbücher aus Pfarr­archiven und erhalten so die darin über die Jahrhunderte hinweg gesammelten Informationen. Mehr als 10 000 Kirchenbücher liegen dort zurzeit.

Das Paket mit Verdacht auf Pilzbefall bugsiert Golinski in den Innenraum des Kastens, dessen mittlerer Teil wie ein Aquarium nach vorn mit einer Glasplatte abgetrennt ist. Vertikalstrombank nennt die Fachfrau das Gerät. Lautes Rauschen und Wummern dröhnt durch die Werkstatt. Ein kräftiger Luftstrom saugt Pilzsporen aus dem Paket ab, damit die Restauratorin nichts davon einatmet.

Ihre Hände bewegt Golinski durch eine knappe Aussparung unter der Glasscheibe. Nach vier präzisen Schnitten mit dem Cutter-Messer lüftet sie vorsichtig den Inhalt des Pakets. Zum Vorschein kommt ein Bild des Jammers: Matt schimmern noch die geschwungenen Kurrentschrift-Buchstaben auf der ersten Seite, doch bricht der Text nach wenigen Zeilen ab. Schimmel ist tief in die Seiten des über zweieinhalb Jahrhunderte alten Kirchenbuchs aus der Pfarrei Mastershausen hineingewuchert, hat die Ränder ausgefranst und das Papier der ersten Seiten bis in die Blattmitte hinein zerfressen. Diagnose? „Todgeweiht“, seufzt die Restauratorin und versucht, die verklebten Seiten voneinander zu trennen. „Wenn der Schimmelbefall schon so weit fortgeschritten ist, dass die Seiten ‚verblocken‘, ist es fast unmöglich, den Band noch zu retten. Man könnte den Pilz noch mit Gammastrahlen bekämpfen.“ Problem: Die radioaktive Strahlung greife Pilz und Papierstruktur an. „Und wenn das Papier schon so kaputt ist, hat es keinen Sinn mehr.“ Ein Pilz wie dieser habe die Fähigkeit, sich bis zu 30 Jahre lang zu verkapseln und dann wieder aufzublühen, sobald die Umgebung günstig ist. „Deshalb kann es sein, dass solche Bände nur noch ein, zwei Jahre in dem momentanen Stadium verharren und dann aber sehr schnell verfallen. Deshalb versuchen wir, sie so schnell wie möglich zu digitalisieren, damit wenigstens die darin enthaltenen Informationen erhalten bleiben.“

Diese Informationen interessieren Dr. Monica Sinder­hauf, Direktorin des Trierer Bistumsarchivs, besonders. „Die Pfarr­archive sind das Gedächtnis der einzelnen Pfarreien und Zeugnis des gelebten Glaubens“, erklärt sie. Verschwinde die über Generationen gesammelte Information, sei das „wie ein Alzheimeranfall“ für den jeweiligen Kirchort. „In dem Zusammenhang ist ein übereifriger Aufräumwahn fatal, denn die Dokumente, die in den Pfarrarchiven liegen, sind durchaus wertvoll, auch wenn sie noch so dreckig aussehen“, betont Sinder­hauf.

Zurück in der Werkstatt, widmet sich Sabine Golinski einem anderen „Patienten“, dessen Leiden nicht durch Feuchtigkeit, sondern durch das genaue Gegenteil verursacht wurde: „Die meisten Bände, die wir aus den verschiedenen Pfarrarchiven bekommen, sind im Zeitraum beginnendes 19. Jahrhundert bis 1940 anzusiedeln. Das Problem dabei ist, dass die Papierstruktur damals sehr schlecht war, weil dem industriell erzeugten Papier viel Holz beigemischt wurde“, erklärt Sabine Golinski. Dementsprechend seien die Papierfasern sehr kurz und brechen schnell – insbesondere, wenn die Bände zu trocken und in hellen Räumen gelagert werden. „Das Papier bräunt durch und wird brüchig.“ So etwa bei einem Kirchenbuch aus der Pfarrei Föhren, das die Restauratorin vor kurzem wieder benutzbar gemacht hat. Dafür festigte sie die zerfransten Blattkanten mit sogenanntem Japanpapier. Manchmal jedoch sei die Papierstruktur so sehr angegriffen, dass das Blatt beim Umblättern genau neben der geflickten Stelle abermals breche. „Das nennen wir dann Knäckebrot“, scherzt sie. „Bei einem Band von 400 Blatt mit mechanischen Schäden wie diesem ist man schon mal fünf bis sieben Wochen beschäftigt.“

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