Urteil Einspruch, Herr Professor: Studentin gewinnt vor Gericht gegen Uni Trier

Trier · Eine Trierer Studentin fällt durch ihre Abschlussklausur – zum dritten Mal. Sie wirft der Uni eine verbotene Korrekturmethode vor und siegt vor Gericht. Dieser Sieg könnte Folgen für das gesamte Prüfungssystem haben.

 Betriebswirtschaftslehre gehört zu den Massenfächern, es wird schnell eng in den Hörsälen. Unser Symbolfoto zeigt den Semesterauftakt an der Uni Göttingen.

Betriebswirtschaftslehre gehört zu den Massenfächern, es wird schnell eng in den Hörsälen. Unser Symbolfoto zeigt den Semesterauftakt an der Uni Göttingen.

Foto: picture alliance / Swen Pförtner/Swen Pförtner

Durchgefallen – eine Botschaft, die wie ein Schlag in die Magengrube wirkt. Besonders dann, wenn die Prüfung die letzte Chance auf einen akademischen Abschluss war. Elena (Name geändert)  schrieb 2017  die Abschlussklausur im Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre (BWL) an der Uni Trier. Doch sie fiel durch, und zwar zum dritten Mal. Einen weiteren Versuch lässt die Prüfungsordnung nicht mehr zu. Der Amtsjargon nennt eine solche Situation „endgültiges Nichtbestehen“. Salopp formuliert: vier Semester für die Tonne.

Die junge Frau legte bei der Uni Widerspruch gegen das Prüfungsergebnis ein und ging nach dessen Ablehnung vor das Verwaltungsgericht Trier. Elenas Vorwurf: Eine verbotene Korrekturmethode habe verhindert, dass sie die entscheidende Klausur besteht.

„Die Uni Trier prüft Studenten massenhaft rechtswidrig, zumindest laut meiner Erfahrung im größten Studiengang, der Betriebswirtschaftslehre“, sagt sie. Aktuell sind an der Uni Trier 728 Studenten im Bachelorstudiengang BWL eingeschrieben.

Elenas Klausur bestand zum Teil aus einer sogenannten Multiple-Choice-Prüfung. Die Studenten müssen keine Fragen ausformuliert beantworten, sondern unter mehreren vorgegebenen Antworten die ihrer Ansicht nach richtigen Lösungen auswählen und ankreuzen. In Massenstudiengängen sind Multiple-Choice-Klausuren beliebt, denn die Professoren und Dozenten sparen Zeit bei der Korrektur.

Elena jedoch argumentierte, die Uni habe ihre Abschlussklausur mit der Malus-Punkte-Regelung bewertet. Diese Regelung ist ein hochexplosives Kapitel der deutschen Hochschulszene (siehe Info).

Die Malus-Punkte-Regelung wertet eine falsch  angekreuzte Antwort mit einem Punktabzug. Auf diese Weise kann ein Fehler den Erfolg einer korrekt beantworteten Frage zunichte machen, da der mit der richtigen Antwort erkämpfte Punkt wieder abgezogen wird.

Genau das habe die Uni Trier getan, sagt Elena. Und genau das sei verboten. Damit hat sie offenbar recht. Das Oberverwaltungsgericht Münster urteilte bereits 2008, dass die Korrektur einer Klausur  fehlerhaft sei, wenn „für eine falsche Antwort Punkte abgezogen werden, die durch eine richtige Antwort erreicht worden sind“. Auch das rheinland-pfälzische Bildungsministerium lässt keinen Zweifel daran, dass die Malus-Regelung nicht erlaubt ist. Das kann Elena belegen – schriftlich.

Denn sie schrieb auch das Ministerium an und erhielt eine Antwort. „Insgesamt ist festzuhalten, dass die von Ihnen zurecht kritisierte Malus-Punkte-Regelung auch an der Universität Trier schon immer unzulässig war“, teilte Daniela Heinemann, Referentin im Mainzer Bildungsministerium, der Trierer Studentin mit. „Dass diese Regelung in der Klausur BWL 1 trotzdem zur Anwendung gekommen ist, hat das Hochschulprüfungsamt erst durch Sie erfahren.“

Dennoch stützt das Ministerium im Schriftverkehr mit Elena die Sichtweise der Uni. „Die Stellungnahme der Universität bietet im Rahmen meiner Rechts- und Fachaufsicht keinen Grund zur Beanstandung“, schreibt Referentin Heinemann. Die Uni Trier habe die Klausur schließlich noch einmal korrigiert, dieses Mal ohne Malus-Regelung.

„Das stimmt“, sagt Elena. „Es wurden jedoch nur die Studenten informiert, deren Noten sich verbessert haben.“ Dazu gehörte Elena nicht, sie war weiterhin durchgefallen. „Ich habe nur durch Zufall von der Nachkorrektur erfahren.“

Die Trierer Studentin erhob Klage vor dem Verwaltungsgericht Trier und bekam recht. Der Bescheid der Uni über ihr „endgültiges Nichtbestehen“ in BWL nach ihrem erfolglosen dritten Versuch, die Abschlussklausur  zu packen, wurde aufgehoben. In der Begründung des Urteils, das dem TV vorliegt, heißt es wörtlich: „Die Durchführung und Bewertung dieser Klausur sind fehlerhaft erfolgt.“

Aufgrund dieses Urteils durfte Elena die Klausur im Mai 2018 ein weiteres Mal schreiben und bestand sie. Ihre akademische Ausbildung geht weiter. Warum wurde die Klausur nicht generell neu geschrieben? Dazu sagt Unisprecherin Natalie Schramm: „Da die Universität bei der Klausur BWL I von einem Bewertungsfehler und nicht von einem Fehler im Verfahren zur Ermittlung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Prüflinge ausging, wurde die Prüfung nur neu bewertet und nicht insgesamt wiederholt.“

.Doch natürlich stellt sich die Frage, wie oft und in welchen Fällen und Fächern die Uni Trier generell Klausuren mit der Malus-Regelung korrigiert hat – und wie viele Prüflinge deswegen durchgefallen sind.

Der TV legt diese Fragen der Universität Trier vor. „Die Festlegung eines Bewertungs-/Punkteschemas für eine Klausur ist Sache des jeweiligen  Prüfers, der insoweit auch einen Bewertungsspielraum hat. Hier gibt es keine zentralen Vorgaben der Fächer oder des Hochschulprüfungsamtes“, antwortet Natalie Schramm.

Die Uni Trier habe das Urteil des Verwaltungsgerichts akzeptiert und keine Rechtsmittel eingelegt, erläutert ihr Kollege Peter Kuntz „Die Universität hat die Prüfungsausschüsse über das Urteil  informiert und  erneut darauf hingewiesen, diesem Punkt bei der Konzeption und Bewertung der Prüfungen besondere Beachtung zu schenken und insbesondere auch das Prüfungsdesign nochmals kritisch zu überprüfen.“

In der Tat – der Prüfungsausschuss  ist hier das entscheidende Gremium. Laut Prüfungsordnung müssen Multiple-Choice-Fragen diesem Ausschuss vorgelegt werden, komplett mit Musterlösungen und Bewertungsschema. Erst danach darf der jeweilige Professor diese Fragen in einer Prüfung anwenden. Offenbar hat der Ausschuss auch die Fragen in Elenas BWL-Abschlussklausur genehmigt. Warum – das bleibt unklar, die Uni hält sich hier trotz mehrfacher Nachfrage des TV bedeckt.

Elenas Ansicht nach ist die Malus-Regel schon das Ende vieler akademischer Ausbildungen und auch beruflicher Ambitionen gewesen.  „Seit Jahren verwehrt die Uni Trier vorsätzlich in völlig unzulässiger Art und Weise Hunderten von Prüflingen das Recht auf freie Berufswahl.“

Der Kommentar:

Die Uni steht mit dem Rücken zur Wand

Die Universität Trier steht im Verdacht, seit Jahren eine verbotene Korrekturmethode anzuwenden – die Malus-Regel. Argumentativ steht die Uni mit dem Rücken zur Wand, belässt es aber bei der lapidaren Erklärung, jeder Prüfer sei selbst für seine Klausuren verantwortlich. Dabei hat der Prüfungsausschuss eine zentrale Kontrollfunktion im Bezug auf Multiple-Choice-Klausuren – die Uni hat diesen wichtigen Ausschuss schließlich sofort nach dem Urteil aufgefordert, das Prüfungsdesign kritisch zu überprüfen.

Doch wie oft ist die Malus-Regel in den letzten Jahren angewandt worden? Dazu schweigt die Uni beharrlich. Und so steht der Vorwurf der Studentin Elena, die Uni verwehre seit Jahren Hunderten von Prüflingen den verdienten Abschluss, weiterhin im Raum.

Die Unileitung muss genau überprüfen und transparent darlegen, in welchen Fächern die Malus-Regel angewandt wurde und ob diese Anwendung rechtlich korrekt war. Betroffene Studenten sollten genau prüfen, ob sie Elenas Weg des Protests folgen wollen.

 Diese kleine Multiple-Choice-Klausur haben wir uns ausgedacht. Es kommt auf jedes Detail an: So stellt die SPD erst seit dem 1. April 2007 den Oberbürgermeister. Die verbotene Malus-Regel zieht für jede falsch angekreuzte Antwort, hier markiert durch rote Kreuze, einen Punkt ab..

Diese kleine Multiple-Choice-Klausur haben wir uns ausgedacht. Es kommt auf jedes Detail an: So stellt die SPD erst seit dem 1. April 2007 den Oberbürgermeister. Die verbotene Malus-Regel zieht für jede falsch angekreuzte Antwort, hier markiert durch rote Kreuze, einen Punkt ab..

Foto: Trierischer Volksfreund/Jörg Pistorius

j.pistorius@volksfreund.de

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