Interview Seit 100 Tagen Bürgermeister in Gerolstein - „Niemand gibt dir viel Zeit“

Gerolstein · Gerolsteins parteiloser Bürgermeister, seit 100 Tagen im Amt, mahnt zu mehr Geduld bei den vielen Bauvorhaben und dem Zusammenwachsen der Verwaltungen und der drei Regionen. Und er berichtet von einem tollen Gemeinschaftserlebnis.

 Hans Peter Böffgen, Bürgermeister der neuen Verbandsgemeinde Gerolstein, gibt zu, dass er morgens erst einmal einen Kaffee braucht, um auf Touren zu kommen. Noch besser wäre allerdings dazu noch ein Teilchen vom Bäcker.

Hans Peter Böffgen, Bürgermeister der neuen Verbandsgemeinde Gerolstein, gibt zu, dass er morgens erst einmal einen Kaffee braucht, um auf Touren zu kommen. Noch besser wäre allerdings dazu noch ein Teilchen vom Bäcker.

Foto: TV/Mario Hübner

Seit 100 Tagen ist Hans Peter Böffgen (parteilos) als Bürgermeister der neuen Verbandsgemeinde (VG) Gerolstein im Amt. Obwohl sein Terminkalender prall gefüllt ist und er schon Tausende Kilometer zwischen Gerolstein, Hillesheim und der Oberen Kyll zurückgelegt hat, sagt er weiterhin Nein zu einem hauptamtlichen Beigeordneten. Vielmehr schwört er auf eine  Arbeitsverteilung unter den Beigeordneten und seinen leitenden Angestellten. Und er merkt inzwischen, dass es länger dauert als erhofft, die vielen geplanten Bauvorhaben umzusetzen und seine Verwaltung sowie die Region zusammenwachsen zu lassen. Dafür wünscht er sich von allen Beteiligten mehr Geduld.

100 Tage im Amt. Sind Sie inzwischen urlaubsreif?

Hans Peter Böffgen: Nein. 100 Tage? Ich rechne eher die 66 Wochenarbeitstage seit meinem Amtsantritt. So oder so ist die Zeit wie im Flug vergangen. Und es gibt noch keinen Alltag. Jeder Tag bringt etwas Neues.

Wie viele Termine hatten sie schätzungsweise seit ihrem Amtsantritt am 9. Januar?

 Böffgen: Bis zu unserem Gespräch habe ich sie nicht gezählt, kann Ihnen aber einen Beispieltag nennen: Gestartet bin ich in der Kindertagesstätte Kunterbunt und der Integrativen Kita in Hillesheim, es folgten eine Bürgersprechstunde im Hillesheimer Rathaus, anschließend beim A 1-Forum in Nettersheim und zum Schluss beim Tourismus-Forum in Bitburg. . Da geht der Bürgermeister um 7.30 Uhr aus dem Haus und kommt um 22 Uhr zurück. Im Augenblick besuche ich abends viele Haushaltssitzungen in unseren Gemeinden, und im Juni sind viele Abende für die konstituierenden Sitzungen nach der Kommunalwahl geblockt Von solchen Terminen bringe ich meist noch ein paar Themen mit – und habe den Anspruch, das dann auch zeitnah anzupacken. Beispiel: In der Bürgersprechstunde bekomme ich den Hinweis, dass der Spielplatz in einer Gemeinde nicht in Ordnung ist. Da ist dann dann am nächsten Tag ein Mitarbeiter rausgefahren, und musste den Spielplatz vorübergehend schließen. Jetzt wird sich vor Ort zügig darum gekümmert, dass die Kinder wieder einen sicheren Spielplatz vorfinden. Es gibt aber natürlich auch komplexere Themen. Oder Dinge, bei denen ich nicht helfen kann.

Noch mal zu den Terminen: Nennen Sie eine Zahl: 100, 200, 300?

Böffgen: Zwischen 100 und 150. Treffen mit Fachbereichsleitern und ähnliches zähle ich dazu aber nicht, das ist Alltag.

Das heißt, Sie kennen die Wegstrecke und Entfernung nach Hillesheim und Jünkerath inzwischen sehr gut?

Böffgen: Ja. Ich rechne immer in Minuten – also, wie lange ich von hier aus brauche. Nach Hillesheim 15, nach Jünkerath 30 und nach Stadtkyll, Hallschlag, Ormont 45. Dann darf mich aber niemand auf dem Flur aufhalten, und ein langsamer LKW ist da auch nicht vorgesehen.

Wäre zum Ausspannen nicht Sansibar ein Traumziel? (in Anspielung auf die schwarz-blau-grüne Koalition aus CDU, FWG und Grünen, die eine Ratsmehrheit hat und Böffgens Konkurrent im Wahlkampf unterstützt hat)

Böffgen: Ha, ha, ha. Nein, nach wie vor nicht. Bürgermeister in meiner Heimat zu sein, ist für mich ein Traum. Und den lebe ich!

Wie fällt ihrem Bilanz des bisherigen Zusammenwachsens der neuen Verbandsgemeinde aus?

Böffgen: Die Vorstellung, wie ich sie im Wahlkampf geäußert habe „wir arbeiten sechs Monate in der von meinen Vorgängern geplanten Struktur und überlegen dann gemeinsam, wo wir Dinge anpassen müssen“, funktioniert leider nicht! Niemand gibt dir so viel Zeit. Damit habe ich in dieser Form nicht gerechnet. Auch sitzt ist die regionale Verwurzelung noch tief. Das ändert man nicht in 100 Tagen, sondern nur durch ehrliche Arbeit und gemeinsame Erfolge. Die Fusion ist für viele ein Kompromiss. Und dennoch gab es schon tolle Momente.

Nennen Sie ein Beispiel!

Böffgen: Nach einigen Diskussion haben wir uns entschieden, da wir nicht drei Rathausstürmungen machen konnten, Weiberdonnerstag in Gerolstein zu feiern – mit den Kylltalnarren, den Burgnarren und den Hillesheimer Karnevalisten. Das war so genial: Irgendwann haben wir alle gemeinsam geschunkelt, gesungen und angestoßen. Da waren wir eine große Gemeinschaft. Dieses Gefühl sollten wir mit in den Alltag nehmen.

Wie weit ist die Verwaltungszusammenführung vorangeschritten?

Böffgen: Formal ist sie fürs Erste abgeschlossen. Die Mannschaft muss sich aber noch finden. Viele Mitarbeiter sind seit kurzem an einem neuen Arbeitsplatz, sitzen mit einem neuen Kollegen oder einer neuen Kollegin im Büro, haben zum Teil neue Aufgaben. Und man darf nicht vergessen: Wir haben, weil es sich so ergeben hat, zehn Mitarbeiter weniger, als die drei alten Verwaltungen zusammen. Vor allem im Baubereich macht sich das bemerkbar. Wir müssen also mit weniger Leuten ein größeres Pensum anpacken, da wir auch einen Investitionsstau von rund 12,5 Millionen Euro aus den Vorjahren zu bewältigen haben. Nehmen wir die Sanierung der Turnhalle der Grundschule Waldstraße für geplante 3,3 Millionen Euro: Seit Juni 2018 leidet darunter der Schul- und der Vereinssport. Da verstehe ich einerseits gut, wenn sich bei vielen Ungeduld breitmacht. Und ich habe auch hohe Ansprüche und sage: Die neue große VG muss Dinge können, die die drei kleineren Einheiten nicht konnten. Aber wir brauchen auch Zeit, um uns einzuspielen – gerade in der Anfangsphase, zu der ich dieses ganze Jahr zähle.

Sie haben mehreren Anträgen bereits eine Absage erteilt, da dies derzeit nicht zu leisten sei: Sind Sie inzwischen für einen hauptamtlichen Beigeordneten?

Böffgen: Nein, immer noch nicht! Wir haben – jetzt endlich – die vier ehrenamtlichen Beigeordneten, und das  Team funktioniert. Die Beigeordneten repräsentieren nicht nur die gesamte Region, sondern haben auch thematisch fundiertes Wissen, so dass sie sich gezielt einbringen können: Bernhard Jüngling ist Verwaltungsfachmann, Klaus-Dieter Peters Bauexperte, Ewald Hansen kennt sich im Bereich Schulen/Kindergärten bestens aus, und Josefine Engeln hat fundiertes Wissen im Bereich Jugend/Soziales. Ich habe nicht den Eindruck, dass da jemand zu sehr politisch unterwegs ist.

Im Übrigen erteile ich Anträgen lieber eine Absage, wenn es derzeit nicht zu leisten ist, weil das ehrlich und seriös ist. Und das will ich bleiben. Es gibt Themen wie eine einheitliche Jugendarbeit, die nicht von heute auf morgen zu machen sind. Aber wir haben uns schon mal mit einigen Akteuren getroffen. Der Anfang ist auch hier gemacht.

Die verzögerte Beigeordnetenwahl, große Differenzen bei der Entscheidung über die Turnhalle der Realschule plus in Gerolstein und auch bei der Verbandsgemeindeumlage: Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit im Verbandsgemeinderat?

Böffgen: Ich empfinde die Zusammenarbeit bislang sehr gut. Man muss beachten, dass sich auch die Fraktionen erst einmal finden müssen. Da haben Ratsmitglieder halt mal eine andere Meinung, als die Parteikollegen des Ausschusses. Wie bei der CDU in Sachen Turnhalle Realschule plus in Gerolstein. War vielleicht nicht schön, sollte nicht die Regel werden, ist aber  kein Drama.

Stichwort Verbandsgemeindeumlage: Die Stadt Gerolstein ist frustriert da sie Zahlmeister der neuen Verbandsgemeinde ist. Einige Politiker schimpfen bereits lauthals über die Fusion. Was sagen Sie dazu?

 Böffgen: 39 Prozent VG-Umlage liegt ja nah an den prognostizierten 38 Prozent. Und da sollten wir im Lauf des Jahres auch hinkommen – aber auf die Schnelle war das jetzt nicht möglich, weil unseriös. Derzeit war niemand bereit, Projekte für 365 000 Euro, also einem Prozent Umlage, zu streichen, weil daran ja immer auch viele Menschen und Erwartungen betroffen sind und auf Anschaffungen zum Teil schon lange gewartet wurde. Es ist ein Feuerwehrauto, das dann nicht gekauft wird, ein Haus der Jugend, bei dem doch kein Jugendpfleger eingestellt wird, eine Schule, die kein Whiteboard bekommt, eine Kita, an deren Außengelände doch nichts gemacht wird. Für die Stadt Gerolstein habe ich großes Verständnis. Es war allen Beteiligten klar, dass die finanzstarke Stadt einen besonderen Beitrag leisten wird. wenngleich es jetzt härter ist als gedacht. Aber wir investieren schließlich auch 3,3 Millionen Euro in die Turnhalle und weitere 1, 1Millionen Euro in sonstige Sanierungsmaßnahmen in der  Grundschule Waldstraße, 1,6 Millionen Euro in die Turnhalle und 400 000 Euro in eine neue Heizung der Realschule und 700 000 Euro für die neue Drehleiter der Feuerwehr Gerolstein. Kurzum: Es gehört auch zur Wahrheit, dass viel Geld in die die Infrastruktur der Stadt fließt.

Abschließend noch zwei Fragen zum  Personal. Erstens: Wird es Umbesetzungen bei den Leitungsposten in der Verwaltung geben, die ihnen ja vorgegeben worden sind und die Sie sich ein halbes Jahr anschauen wollten?

Böffgen: Für alle Mitarbeiter, denen Führungspositionen übertragen wurden, haben wir die Bestellung kommissarisch bis zum 31.12. dieses Jahres verlängert.

Und zweitens: Wie sieht die Personalpolitik zu Hause aus: Haben Sie einen Familientag oder bestimmte Rituale, bei denen trotz Ihrer hohen terminlichen Belastung, die Familie Zeit miteinander verbringt?

Böffgen: In der Woche gemeinsam zu Mittag zu essen und am Wochenende auch gemeinsam zu frühstücken, sind uns wichtig. Ich nutze die Zeit, wenn ich die Kinder morgens zur Schule bringe und mittags heimfahre, um mit ihnen über ihre Themen zu sprechen. Und wir freuen uns schon alle auf unseren gemeinsamen Sommerurlaub: drei Wochen in den Niederlanden.

 Hans Peter Böffgen, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Gerolstein ...

Hans Peter Böffgen, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Gerolstein ...

Foto: TV/Mario Hübner
 ... bereits ein Interviewtermin ansteht.

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