Bremsklotz für das Wachstum der Wirtschaft

Trier · Die Wirtschaft ächzt: Sie hat dank der guten Konjunkturlage viele Aufträge, aber zu wenige Fachkräfte, um sie schnell erledigen zu können. In der Region Trier werden deshalb Überstunden und Zusatzschichten gemacht. Langfristig fürchten die Kammern um einen Verlust der Wirtschaftskraft.

Trier. Für Oliver Bloeck ist die Lage am Fachkräftemarkt "bescheiden". Der Inhaber eines deutschlandweit tätigen Elektrofachbetriebs aus Trier findet seit Jahren keine geeigneten Mitarbeiter mehr. "Besonders akut ist es seit ein bis zwei Jahren, obwohl wir jedes Jahr mindestens sechs Azubis ausbilden", sagt er. Und so könnte er sofort mit seinem Unternehmen, das sich auf Medizintechnik sowie Elektro-und Kommunikationstechnik für Industrie und Gewerbe spezialisiert hat, zusätzlich zu seinen 100 Beschäftigten acht Monteure sowie vier Helfer einstellen. Doch die sind derzeit nicht zu finden. "Wir versuchen neue Rekrutierungswege zu gehen, arbeiten mit Leiharbeitern und haben Plakatwände angemietet, um Werbung für uns zu machen", sagt der Firmenchef.Themenwoche Job + Karriere

Was das für die Auftragslage bedeutet, macht Oliver Bloeck auch deutlich: "Der Service-Kundendienst funktioniert, kleinere Aufträge werden schnell erledigt", sagt er. Projektaufträge, etwa Elektroinstallationen für ein Bürogebäude, könnten jedoch bis Anfang 2012 nicht angenommen werden. So wie Oliver Bloeck geht es vielen Firmen in der Region Trier. Es gibt Handwerksbetriebe, die auf Anhieb eine Fünf-Mann-Kolonne einstellen könnten. Es gibt Industriebetriebe, die zusätzliche Schichten arbeiten und Probleme haben, an Rohstoffe zu kommen, weil die Auftragsbücher voll sind. Und noch decken die meisten alles notdürftig ab, um keine Kunden zu verprellen und Aufträge zu verlieren. Doch eines lässt sich nicht verhehlen: Der Wirtschaft gehen die Fachkräfte aus. "Ist der Auftragsbestand in Normalzeiten für zwei bis drei Monate gesichert, schieben die Betriebe in der Industrie derzeit einen Auftragsbestand von vier bis fünf Monaten vor sich her", sagt Matthias Schmitt, verantwortlich für den Geschäftsbereich Standortpolitik bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Trier. Das verschaffe den Unternehmen zwar eine komfortable Situation für schlechtere Zeiten, wenn die Konjunktur wieder abflache. Aber an dem Kernproblem ändert das nichts: "Es gibt zu wenig Fachkräfte", sagt Schmitt.Eine "vierstellige Zahl" an offenen Stellen nennt die IHK, die Handwerkskammer (HWK) beziffert ihre Zahl auf 1700. Und auch bei der Arbeitsagentur Trier ist die Zahl der Stellenzugänge seit Jahresanfang im Vergleich zum Vorjahreswert gestiegen: von 9196 auf derzeit 9515. Bedarf in allen Branchen

Dabei zieht sich der Bedarf durch alle Branchen. "Ob im Bereich Lebensmittel, Metall, Elektro oder am Bau. Es gibt überall Schwierigkeiten, Leute zu finden", sagt Matthias Schwalbach, Leiter der Abteilung Wirtschaftsförderung bei der HWK Trier. Von den 450 offenen Ausbildungsstellen im Handwerk ganz zu schweigen. "Es kommen inzwischen Branchen dazu, die nie offene Stellen gemeldet haben, etwa die Goldschmiede", sagt Schwalbach. Und auch bei der IHK stellt man einen generellen Mangel an Fachpersonal fest. Ob Gesundheitswirtschaft, Ingenieurswesen oder Hotel- und Gaststättenwesen: "In allen Bereichen fehlen die Leute. Neben den Fach- und Führungskräften sind aber auch die normal ausgebildeten Arbeitnehmer Mangelware", sagt Matthias Schmitt. Ein Grund für das fehlende Fachpersonal ist die Abwanderungstendenz nach Luxemburg. Bei Nettogehältern von 600 bis 800 Euro über dem Handwerkerlohn in Deutschland ist es kein Wunder, dass es rund 28 000 Pendler aus der Region Trier ins Großherzogtum zieht. "Deshalb fällt der Fachkräftemangel hier eine Spur größer aus als in anderen Regionen ohne eine solche Grenznähe", sagt Christian Thömmes, Leiter des Arbeitgeberservices bei der Arbeitsagentur Trier. Deshalb und angesichts der niedrigen Arbeitslosenquote von aktuell 3,7 Prozent sei die Behörde auch stärker gefordert, nach möglichen Beschäftigten zu suchen. Überregionale Suche

Das geht einerseits mit der Anwerbung von Fachkräften aus anderen Teilen des Landes und aus dem Ausland. "Deutschland hat es jedoch verschlafen, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus anderen Ländern früher zu gewähren", ist Matthias Schmitt von der IHK sicher.Die IHK Trier ist deshalb inzwischen selbst unterwegs, etwa in Polen nach geeigneten Kräften Ausschau zu halten. "Denn der Pool an Leuten in der Region ist zu gering."Folglich klopft Christian Thömmes von der Arbeitsagentur mit seinem Team die Betriebe auf schlummerndes Fachpotenzial in den eigenen Reihen ab. "Manchmal können Helfer nachqualifiziert werden, oder man kann einen erfahrenen Helfer einstellen", sagt er. Das sei "viel Überzeugungsarbeit und ein mühsames Geschäft", doch "wenn die Schmerzgrenze erreicht ist, gehen die Betriebe auch darauf ein." Darin sind sich alle Fachleute einig. Das Thema Fachkräftemangel hat erst das Anfangsstadium erreicht. Von einer Lösung des Problems will Wirtschaftsförderungsexperte Matthias Schwalbach von der HWK deshalb gar nicht sprechen: "Wir können das Problem mildern, aber nicht lösen. Und wenn die Betriebe nicht flexibel damit umgehen, wird auch die Region an Wirtschaftskraft verlieren", ist er überzeugt. Denn deutschlandweit hat der Fachkräftemangel bereits zu Umsatzeinbußen in Höhe von 33 Milliarden Euro geführt. Das geht aus dem neuesten "Mittelstandsbarometer Sommer 2011" der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young hervor. Demnach haben drei Viertel der Unternehmen seit Jahren Schwierigkeiten damit, geeignete Fachkräfte für ihren Betrieb zu finden.Lesen Sie morgen: Frauen in naturwissenschaftlich-technischen Berufen - Beispiele für spannende Arbeitsbereiche.Als Fachkräftemangel wird ein Zustand der Wirtschaft bezeichnet, in dem eine bedeutende Anzahl von Arbeitsplätzen für Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten nicht besetzt werden kann, weil auf dem Arbeitsmarkt keine entsprechend qualifizierten Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Die Folge: Ein Fachkräftemangel schwächt das mögliche Wachstum einer Wirtschaft. Dabei handelt es sich inzwischen nicht mehr um ein kurzfristiges Phänomen. Langfristig wird durch die sinkende Bevölkerungszahl auch die Zahl der Erwerbsfähigen zurückgehen - um 6,5 Millionen in den kommenden 14 Jahren, wenn sich die Voraussagen der Bundesagentur für Arbeit bewahrheiten sollten. Schon jetzt fehlen in den forschungsaktiven und technischen Fachgebieten Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (die sogenannten Mint-Fächer) 117 000 Spezialisten. Allein zwischen den Monaten Januar und Februar dieses Jahres vergrößerte sich die Lücke um 21 000 Stellen. Das meldet das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft. sas

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