Wichtiger als ein Testament

Düsseldorf · Viele alte Menschen sind in Deutschland auf Hilfe angewiesen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese zu organisieren. Eine amtliche Betreuung ist das letzte Mittel. In den meisten Fällen ist die sogenannte Vorsorgevollmacht besser geeignet.

Düsseldorf. Die alte Frau steht mitten auf dem Zebrastreifen und macht keine Anstalten weiterzugehen. Sie wendet den Kopf hin und her, als sei sie erstaunt über alles, was sie um sich herum sieht. Ein Auto hält an, der Fahrer steigt aus und begleitet die alte Dame hinüber auf die andere Straßenseite. Die Dame schaut ihn nur verwirrt an.
Diese Szene ist typisch. Alte Menschen, die verwirrt sind, vergessen, wo sie sind, wer sie sind, wo sie wohnen. Jemand findet sie, bringt sie ins Krankenhaus. Oder die Polizei muss helfen. Danach erst beginnt die eigentliche Geschichte - jedenfalls für Carl Blomenkamp, der beim Amtsgericht Düsseldorf die Abteilung für Betreuungsrecht leitet. Manchmal, sagt er, stelle man fest: "Mensch, der hat ja niemanden auf der Welt."
Schriftlich Wünsche festlegen


Und dann beantragt die Klinik meist eine amtliche Betreuung. Blomenkamp warnt aber. Aus Sicht des Juristen ist "Betreuung absolut nachrangig".
Zunächst sollten andere Hilfsangebote ausgeschöpft werden. Schwierig wird es, wenn alte Menschen keine Unterschriften mehr leisten und damit keine Geldgeschäfte, Verträge oder Steuererklärungen mehr selber regeln können. Trotzdem sollte eine Betreuung nicht übereilt beantragt werden. Blomenkamp sagt: "Manchmal wird nicht einmal gefragt, ob eine Vorsorgevollmacht vorliegt." Eine derartige Vollmacht gibt dem Bevollmächtigten ähnliche Rechte, wie sie ein amtlicher Betreuer hat. Sie wird aber nicht durchs Gericht geregelt, sondern muss einfach schriftlich gegeben werden. Nur wenn damit Grundstücksangelegenheiten geregelt werden sollen, muss sie notariell beglaubigt werden. Blomenkamp betont: "Die Vorsorgevollmacht ist viel wichtiger als ein Testament oder eine Patientenverfügung. Denn sie betrifft mich, solange ich noch lebe."
Er mahnt, auch junge Erwachsene sollten solch ein Schriftstück aufsetzen, etwa für medizinische Entscheidungen. Viele Leute denken, dass der Ehepartner die Einwilligung zu einer Operation geben kann - aber das ist nicht der Fall. In den Heimen herrscht zum Teil auch Unwissen. Pfleger haben Angst, ein Bettgitter anzubringen, obwohl es zum Schutz des Patienten notwendig ist - dafür kann dann die Genehmigung eines Bevollmächtigten oder Betreuers nachträglich eingeholt werden.
Wichtig ist, dass die Vollmacht umfassend genug abgefasst ist. Nur wenn ausdrücklich darin steht, dass Fragen der Unterbringung dazugehören, kann der Bevollmächtigte einen alten Menschen in einem Pflegeheim unterbringen. Und nur wenn Wohnungsangelegenheiten genannt werden, kann der Bevollmächtigte die Wohnung kündigen.
Es empfiehlt sich, medizinische Entscheidungen und "freiheitsentziehende Maßnahmen" extra zu nennen - damit sind zum Beispiel Bettgitter gemeint, aber ebenso die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung, die manchmal bei verwirrten Menschen mit hohem Bewegungsdrang angesagt ist.
Ganz wichtig und eigens zu nennen sind die Vermögensangelegenheiten. Wenn es keine Vollmacht gibt, kann das Gericht einen amtlichen Betreuer bestellen. Am liebsten werden dazu nahe Angehörige genommen, es gibt aber Ehrenamtliche oder Rechtsanwälte. Für sie gelten ähnliche Regeln wir für Bevollmächtigte: Das Gericht muss festlegen, wie weit die Betreuung geht. Der Betreuer wird vom Gericht überwacht, in manchen Fällen muss er dort eine Genehmigung einholen - was bei einer Vollmacht nicht der Fall ist.
Es kann andererseits vorkommen, dass das Gericht für einen Bereich, der in der Vollmacht nicht genannt wird, später ergänzend eine Betreuung einrichten muss. Das macht alles komplizierter, deswegen sollte das Ziel sein, mit der Vollmacht alles abzudecken.
Bankgeschäfte separat regeln


Die Erfahrung zeigt: Gerade Banken tun sich in der Regel schwer mit Betreuern und Vorsorgevollmachten. Es empfiehlt sich daher, für alle wichtigen Konten bei der Bank selbst auf deren Formularen rechtzeitig Vollmachten auszustellen.
Heike Nordmann von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sagt: "Wegen dieses Problems bekommen wir viele Anfragen." Aber Vorsicht: Mit diesen Bankvollmachten kann meist nicht alles geregelt werden, besispielsweise ist die Umstellung der Adresse, die Einrichtung von Online-Banking oder die Auflösung des Kontos nicht möglich.

Der Autor Frank Wiebe arbeitet als Experte für die Wirtschaftszeitung Handelsblatt.

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