Einsam unter Siegern

Kurz Gas geben, dann einfach rollen lassen: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat beim lockeren 4:0 (2:0) im WM-Qualifikationsspiel gegen Liechtenstein gezeigt, wie man effektiv Energie sparen kann. Einen ganz düsteren Abend verbrachte Mario Gomez.

Leipzig. Vier Minuten vor Schluss in einem WM-Qualifikationsspiel: Der Stürmer der Heimmannschaft bekommt den Ball blitzsauber auf den Fuß gezirkelt, kommt zum Schuss. Aber er vergibt kläglich, wirft sich auf den Rücken, schlägt die Hände vors Gesicht, verharrt dort für eine gefühlte Ewigkeit, einsam im Strafraum. Über ihm der Nachthimmel. Und aus allen Richtungen höhnen Fans.

So erging es Nationalstürmer Mario Gomez am Samstagabend im Leipziger Zentralstadion. Das Liegen-Bleiben, die Verzweiflung, die "Augen-zu"-Geste, all das sah nach großem Drama aus. Dabei stand es längst 4:0 für sein Team. In einem Qualifikations-Spiel gegen überforderte Liechtensteiner, über das man kaum mehr als zehn Zeilen schreiben kann, ohne dass die Floskel "Pflichtsieg" von der Nervenbahn in die Finger huscht. Schon, weil kaum ein Spieler oder Verantwortlicher zuvor ein passenderes Wort für den Sieg der Pragmatik fand.

Für Gomez wuchs in jener 86. Minute vielleicht die Erkenntnis, dass dieses WM-Qualifikationsspiel nur einen Verlierer kennt: Keinen der Gäste, sondern nur ihn, Mario Gomez. Ihn, der in der laufenden Saison für den VfB Stuttgart exorbitant mehr Pflichtspiel-Tore gemacht hat als etwa die Torschützen gegen Liechtenstein, Michael Ballack und Marcell Jansen (Doppelschlag zu Beginn des Spiels) sowie Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski (zu Beginn der zweiten Halbzeit).

Gomez war engagiert, aber sichtbar verunsichert. Wie jemand, dem man das Selbstvertrauen mit jeder weiteren Minute nimmt, mit jedem verunglückten Abschluss. Bis nur Ratlosigkeit bleibt. "Ich weiß nicht, woran es liegt", haderte Gomez: "Ich war mir sicher, dass ich gegen Liechtenstein treffen würde." Immerhin gegen den 151. der Fifa-Weltrangliste hätte es klappen sollen. Gegen die Auswahl eines Miniaturstaats, dessen Gesamtbevölkerung komfortabel in den so schönen wie — zumindest derzeit — unnötigen Prachtbau Zentralstadion gepasst hätte. Gegen eine Mannschaft mit "drei Amateurspielern in der Abwehr", wie Nationaltrainer Bidu Zaugg gern betont.

Zaugg war zufrieden, trotz der Niederlage. Nach vorne ging rein gar nichts? Egal. Das brachte nur eine Auszeit in der Torhüter-Frage der deutschen Nationalelf. Auch im Mittelfeld war das Team des Fürstentums kaum einmal mit Ball anzutreffen. Aber nur vier Tore kassieren, gegen die Deutschen, die den Ball "so sauber zirkulieren" (Zaugg)? Das sprach für ein recht erfolgreiches Dichtmachen in der Defensive. Und es sprach — wenn man nach den Pfiffen geht — gegen Gomez, der seit mehr als einem Jahr auf einen Torerfolg in der Nationalmannschaft wartet. Seit mehr als zehn Stunden reiner Spielzeit.

Bundestrainer Joachim Löw ("Pflichtsieg nach gutem Beginn") war "insgesamt zufrieden": In die Reihe der Gomez-Kritiker wollte er sich nicht einreihen. "Er hat gekämpft, wirkte aber vor dem Tor ein bisschen unglücklich." Ob Gomez am Mittwoch bei den deutlich stärker einzuschätzenden Walisern stürmen darf, ließ Löw offen.

Gute Botschaft: Ex-Nationaltorhüter Oliver Kahn hatte seinen ersten öffentlichen Auftritt seit seiner Absage als Schalke-Manager ("Das Angebot kam sechs Monate zu früh"): Kahn ist neuer Botschafter der Sepp-Herberger-Stiftung des DFB.

Schlechte Botschaft: Der angeschlagene Torwart René Adler nicht zum WM- Qualifikationsspiel nach Wales fliegen. Er reiste wegen seiner Ellenbogenverletzung ab.

Meinung

Ein Stürmer unter Zugzwang

Die Fußball-Europameisterschaft 2008 ist lange vorbei, aber zumindest eine Zeitlupe ist noch sehr präsent. Die fünfte Minute beim Spiel Österreich - Deutschland: Mario Gomez steht frei, bekommt den Ball — und bringt ihn aus drei Metern Entfernung nicht im Tor unter. Auch Gomez wird diese Szene lange beschäftigt haben. Immer größer wird das Fragezeichen: Warum klappt es im Verein, aber nicht im Nationalteam? Schon 14 Saisontore hat Gomez für den VfB Stuttgart erzielt. Im Nationalteam bekommt er dagegen Pfiffe von den Fans. Weil er seit einem Jahr nicht mehr getroffen hat. Und weil ihn das für viele zum universellen Sündenbock qualifiziert. Sollte Gomez im nächsten WM-Qualifikationsspiel am Mittwoch in Wales spielen, rückt er wieder in den Fokus. Die Minuten ohne Tor werden im Auge behalten, jeder Fehlpass notiert. Und so viele Torchancen wie gegen Liechtenstein wird Gomez in Cardiff kaum bekommen. Wenn Löw den 23-Jährigen aber aus dem Team nimmt, wird Gomez das als persönliche Niederlage empfinden. Was tun? Einen Persilschein kann es für den Stürmer nicht geben. Aber eine vorerst letzte Chance sollte er in Wales erhalten: Denn Gomez ist einer der besten Stürmer der Bundesliga: beidfüßig, kopfballstark, schnell. Wenn beim Auswärtsspiel der Druck der eigenen Fans geringer ist, kann er das vielleicht auch wieder im Nationaltrikot zeigen. Nein: Er muss. a.feichtner@volksfreund.de

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