"Wer Musik macht, um damit Geld zu verdienen, ist auf dem Holzweg"

Nach seinem Megaerfolg vor drei Jahren ist nun endlich sein neues Album " Engtanz" auf dem Markt. Im Interview mit Lifestyle-Redakteur Ingo Beckendorf erzählt Bosse über die Entstehung der Platte und verrät Nachwuchsmusikern, was sie auf keinen Fall tun sollten.

Dein neues Album heißt "Engtanz" - wen würdest Du gerne mal auffordern?
Bosse: Spontan fällt mir die Schauspielerin Nina Hoss ein, aber ich fürchte, sie ist etwas zu groß für mich. Aber auch gegen einen Tanz mit der Schauspielerin Sibel Kekilli hätte ich nichts einzuwenden, die mit Fatih Akins Film "Gegen die Wand" zu Recht den Durchbruch geschafft hatte.

Standest Du zu Beginn der Aufnahmen von "Engtanz" auch vor einer Wand, nachdem der Vorgänger "Kraniche" so erfolgreich war?
Bosse: Die letzten drei Jahre waren wirklich toll. Es war ein weiter und manchmal harter Weg bis dahin, deshalb habe ich jede Minute genossen. Aber nach der Tour war es dann wieder an der Zeit, eine Pause einzulegen, durchzuatmen und Kraft zu sammeln. Danach fange ich jedes Mal wieder bei Null an, deshalb kenne ich auch keinen Erfolgsdruck. Am Anfang gibt es immer nur mich, meine Gitarre und weißes Papier. Beim Schreiben rufe ich Gefühle und Erinnerungen der letzten Monate wach und versuche dann, die passenden Melodien dazu zu finden.

Wie fühlt sich dann das Hören des fertigen Albums an?
Bosse: In jedem Song steckt unendlich viel Liebe und Arbeit. Nach der langen Zeit im Studio muss ich deshalb immer erst Mal Abstand gewinnen, bevor ich mir das fertige Album anhören kann. Danach bin ich oft selbst überrascht über die Intensität unserer Songs, und es fällt mir wieder ein, wie weh das Schreiben der Texte getan hat, das hab ich bis dahin scheinbar verdrängt (lacht…).

Schreibst Du zuerst die Texte oder die Melodien?
Bosse: Meistens skizziere ich zuerst den Textentwurf verbunden mit einer Vorstellung davon, welche Richtung der Song einschlagen soll, welche Atmosphäre ich erzeugen will. Für den Sound ist am Anfang entscheidend, ob aus dem Entwurf eher eine Ballade oder ein rockiger Song entstehen soll. Wenn ich zuerst die Melodie schreibe, schaffe ich eine Art Korsett, in das ich dann die Worte dann hineinzwängen muss. In dieser Form finde ich den kreativen Prozess viel schwieriger.

15 Jahre bist Du jetzt Profimusiker. Wird es auf Dauer leichter oder schwieriger, sich neue Songs einfallen zu lassen?
Bosse: Weder noch, jeder Song hat seine eigene Entstehungsgeschichte. Manchmal laufe ich durch die Straße und mir fällt spontan ein Text und dann auch schon gleich die passende Melodie dazu ein. Wenn ich dann ins Studio komme, ist der Song praktisch schon fertig. An anderen feile ich dagegen monatelang und fange beinahe an, den Song zu hassen, weil ich einfach nicht fertig werde damit. Sicher ist: Ich hab‘ über die Jahre eine individuelle Art gefunden, mich musikalisch auszudrücken. Das ist die zentrale Fähigkeit, wenn es darum geht, Emotionen und Gedanken in Songs zu verwandeln.

Du bist jetzt 35, hättest Du "Engtanz" auch schon mit 25 schreiben können?
Bosse: Definitiv nicht. Jedes Album ist immer auch ein Ausschnitt der jeweiligen Lebensphase, ein Spiegel der individuellen Erfahrungen. Ich wusste nur bereits mit 17, dass ich etwas Eigenes in meinem Leben machen will. Und ein paar Jahre später war ich sicher, dass mein Weg zur Musik führt.

Was empfiehlst Du jungen Nachwuchsmusikern, die Zweifel haben, ob sie jemals von ihrer Musik werden leben können?
Bosse: Wer Musik macht, um damit Geld zu verdienen, ist damit bereits auf dem Holzweg. Dafür ist der Weg bis zum Erfolg am Anfang in den meisten Fällen viel zu weit. Ihr müsst arbeiten, um Musik machen zu können - nicht umgekehrt. Zahlreiche Ratschläge kann ich aus meiner eigenen Erfahrung weitergeben: Geht in keine Casting-Show. Seit megafleißig, macht Nebenjobs. Unterschreibt niemals zu schnell einen Plattenvertrag, schon gar nicht ohne Euren Anwalt. Versucht so oft zu spielen, wie es geht, überall in Deutschland…

Du spielst auf Tour auch überall in Deutschland. Wie unterscheiden sich die Publikums auf den Konzerten voneinander?
Bosse: Um ehrlich zu sein, gar nicht. Wir geben immer alles, die Leute ziehen überall mit, wir haben ganz wunderbare Fans da draußen. Oft fällt es mir schwer, den Abend zu beenden. Aber dann steht zum Glück immer auch jemand neben mir, der sagt: Jetzt ist es auch mal genug. Und dann geht das Licht geht an. Der Techniker will auch irgendwann mal nach Hause. Eine Besonderheit gibt es vielleicht doch: Wenn das Publikum nur aus 30 Personen besteht, kommen die sich genauso beobachtet vor, wie ich.

Bei Eurem ersten Konzert in der Saarbrücker Garage bestand das Publikum nur aus fünf Personen. Erinnerst Du Dich an den Abend?
Bosse: Klar! Wir waren zu viert auf der Bühne, fünf Leute im Publikum. Die alte Bullentour-Regel lautet: Wenn mehr Leute im Publikum sind als auf der Bühne, rocken wir. Also legten wir los. Es wurde ein sehr, sehr feucht-fröhlicher Abend zu neunt. Das lag an den 35 Grad Außentemperatur, aber auch an den unzähligen Drinks, die die Thekenfrau ausschenkte. Am Ende waren wir alle fürchterlich betrunken und der Schlüssel von unserem Sprinter war verschwunden, er ist nach stundenlanger Sucherei in einer Sofaritze aufgetaucht.

Wir haben heute in der Redaktion über unsere Lieblingsalben gesprochen, welche drei fallen Dir spontan ein?
Bosse: Das sind natürlich viel zu viele, aber spontan im Moment gerade: Als Klassiker "Meet Is Murder" von The Smiths, neu und verdammt gut ist "Sol Invictus" von Faiths No More und als Geheimtipp "Grab That Gun" von The Organ.

Würdest du mitspielen, wenn deutsche Künstler ein großes Benefizkonzert für Flüchtlinge spielen würden?
Bosse: Im Oktober gab es mit "Wir. Stimmen für geflüchtete Menschen" schon ein Gratis-Konzert auf dem Münchner Königsplatz, da bin ich mit Sportfreunde Stiller aufgetreten. Weitere sind im Sommer geplant, aber da kann ich noch keine Details verraten.

Wenn Bosse kein Sound wäre, sondern ein Bild - wie sähe das Bild aus?
Bosse: Unten die Palme, oben der aufgehende Mond.

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