KOLUMNE

Es gibt Zeichen der Zeit, die muss man richtig zu deuten wissen. Zum Beispiel, wenn die sechsjährige Tochter ihren Papa frühmorgens aus dem einzigen Badezimmer wirft mit dem Argument: "Ich will keine Männer im Zimmer haben, wenn ich mich anziehe". (Ich schwöre, so hat sie es wortwörtlich gesagt!) Schon dämmert die Erkenntnis: Was so anfängt, endet damit, dass die Bad-Tür irgendwann zwischen 6 und 8 Uhr gänzlich abgesperrt bleibt — schließlich gibt es zwei Töchter, und deren Ansprüche werden mit zunehmendem Alter schwerlich geringer. Ein zweites Bad muss also her - aber dafür ist im Haus beim besten Willen kein Platz. Also ein größeres Haus? Das schon, sagen die Kinder, aber unter gar keinen Umständen eines, das weiter als zehn Fußminuten von ihrem gewohnten Spielplatz entfernt liegt. Also ein größeres Haus, direkt um die Ecke, möglichst bezahlbar, aber dafür mit schöner Aussicht und separaten Arbeitszimmern für Papa und Mama, schließlich wollen die ja auch was von den Mühen des Umzugs haben. So was gibt es nicht? Gibt es doch. Traumhafter Blick über die Stadt, reichlich Platz, zwei Bäder und ein Gästeklo - zu einem Preis, der die monatliche Belastung nicht ins Bodenlose treibt. Die ideale Lösung? Leider nur fast. Denn die beiden Räume, die sich als Kinderzimmer eignen, sind von durchaus unterschiedlicher Größe. Zwar keineswegs kleiner als die bisherigen Kinderzimmer im alten Haus, im Gegenteil - aber die waren immerhin gleich klein. Auch der elterliche Hinweis, dass es ein zusätzliches (!) Kinder-Spielzimmer gibt, fruchtet da kaum. Ebenso wenig wie die Andeutung bezüglich eines separaten Haus-Eingangs, der in späteren, pubertären Zeiten bemerkenswerten Nutzen für den Nachwuchs bringen könnte. Alles Kikifax gegenüber der horrenden Ungerechtigkeit der unterschiedlichen Quadratmeterzahl. Weil manche Dinge sich einfach nicht demokratisch ausdiskutieren lassen, entscheidet irgendwann, trotz unbehaglichen Gefühls, die schnöde elterliche Autorität: Die größere Tochter kriegt das größere Zimmer, schließlich ist sie...na ja...eben...größer. Auch elterliche Begründungen halten nicht immer einer all zu intensiven Hinterfragung stand. Aber die Große muss ja auch ihre Ausziehcouch für übernachtende Freundinnen unterbringen, schieben wir als Hilfsargument hinterher. Das aber bringt die Jüngere endgültig in Rage. "Dann will ich auch eine Couch", fordert sie kategorisch, dabei übersehend, dass ihr Zimmer für derartige Möbel gar keinen Platz bietet. Dem familiären Gleichgewicht droht eine empfindliche Störung. Bis die kluge Mama die Idee hat, dass man für das Zimmer der Kleinen ja ein eigenes, ganz persönliches Möbelstück anschaffen könnte. Jetzt sitzt die Kleine auf "Knautschi" und strahlt. Knautschi ist ein platzsparender Sitzsack, eigentlich überflüssig und - zumindest nach Erwachsenen-Maßstäben - entsetzlich unbequem. Aber er gehört ihr, und damit hat das ganze neue Haus endlich seinen Sinn. Fragt sich nur, wann die Große sich zum ersten Mal beschwert, warum sie keinen "Knautschi" hat. Dieter Lintz In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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