Im Würgegriff der Lobby

Zum Artikel "Kaum noch Salz: Nebenstraßen werden nicht mehr gestreut" (TV vom 27. Januar):

Ein Schreckensruf gellt durchs Land: Kaum noch Salz vorhanden - der Winterdienst wird eingeschränkt! Das wirft die Frage auf, ob dieses alljährlich wiederkehrende Problem - Räumen und Streuen auch der letzten Nebenstraße - ein unabänderliches Naturgesetz ist, das hingenommen werden muss. Ich behaupte: Nein.

Abgesehen davon, dass die Gesetzeslage in deutschen Landen sehr ambivalent, zum Teil widersinnig ist - hier Salz erlaubt, da verboten, dort in einer gesetzlichen Grauzone positioniert - ist ein Blick über die Grenzen aufschlussreich. Zahlreiche Länder mit härteren, schneereicheren Wintern wie Kanada und Skandinavien zeigen, wie es anders geht: Räumung bei starkem Schneefall ja, Abstreuen von Straßen nein. Warum ist dies in Deutschland anders? Hat hierzulande der Bürger, und vor allem die autofahrende Spezies, ein naturgegebenes Recht auf schnee- und eisfreie Straßen, selbst im allertiefsten Winter? Ganz sicher ist ein Grund die weitverbreitete Anspruchsmentalität der Deutschen: Ich zahle Steuern, ergo habe ich ein Recht auf freie Fahrt - zu jeder Tages- und Jahreszeit!

Ein anderer, weitgehend unbekannter Grund ist die Tatsache, dass wir das Land mit den weltweit größten Salzvorkommen und einer großen Tradition im Salzbergbau sind. Der weltmarktführende Bergbaukonzern KS (Kali und Salz), der in Kassel residiert, dominiert das lukrative Geschäft mit Düngemitteln, aber auch mit Streusalz. Es ist denn auch die Lobby dieser Industriesparte, der Deutschlands Straßen allwinterlich ihre umweltzerstörende Salzbefrachtung verdankt.

Das Problem muss dringend auf den Prüfstand, und zwar aus ökologischer und ökonomischer Sicht. Denn die öffentliche Hand bezahlt für diese unsinnige Form des Winterdienstes gleich mehrfach: für Material- und Personaleinsatz, später dann für die Beseitigung der salzbedingten Schäden. Der deutsche Verkehrsteilnehmer muss als Fakt hinnehmen, dass er keinen gesetzlichen Anspruch auf "freigesalzene" Straßen hat. Schließlich hat er nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, sich durch vernünftige Fahrweise den Straßenverhältnissen anzupassen, wie es die Menschen in Kanada, Schweden und anderen nordischen Ländern seit eh und je tun. Der Einsatz von Salz könnte dann auf winterliche Extremfälle und auf einige wenige neuralgische Verkehrspunkte beschränkt werden, etwa auf Kreuzungen und Strecken mit mehr als zehn- bis zwölfprozentigem Gefälle oder Steigung.

Helmut Körlings, Traben-Trarbach

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