KONFLIKTE

Zur Berichterstattung und zu den Leserbriefen über die Ursachen und Konsequenzen der Ukraine-Krise diese Meinungen:

Seit Wochen bin ich immer wieder aufs Neue erstaunt, wie oft dem Westen die Schuld an der Ukraine-Krise zugewiesen wird, und dass man Russland zugesteht, seinen Nachbarländern ihr außenpolitisches Verhalten vorzuschreiben. Die Ukraine ist kein Vorgarten Russlands, sondern ein souveräner Staat, der souveräne, auch Russland nicht genehme Entscheidungen treffen kann. Es wird immer wieder gesagt, 1990 hätten westliche Politiker bei der Wiedervereinigung Russland versprochen, die Nato und die EU würden sich nicht nach Osten ausdehnen. Dieses Versprechen als Tatsache unterstellt, man könne einem Staat Versprechungen machen, die andere souveräne Staaten betreffen, ohne diese auch nur zu fragen. Die osteuropäischen Staaten sind Nato und EU freiwillig beigetreten. Die Nato ist ja nicht in diese Länder einmarschiert. Die Auffassung, wenn die russische Regierung es nicht wünscht, dürfen Nato und EU einen Staat nicht aufnehmen, so als gäbe es die alte Sowjetunion noch und deren Machtanspruch gegenüber den Nachbarstaaten sei legitim, mutet sehr imperialistisch an. Nachdem in der Ukraine eine Russland nicht genehme Regierung ins Amt kam, wurde von dort die Annexion der Krim betrieben und durch fragwürdige Wahlen scheinbar sanktioniert. Eine nicht genehme Regierung rechtfertigt weder die Annexion, noch die Abspaltung eines Landesteils. Unterstellt, die USA hätten oft ähnlich gehandelt, so rechtfertigt ein Unrecht nicht das andere. Die Infragestellung der demokratischen Legitimation der neuen Kiewer Regierung durch die russische ist angesichts der politischen Situation in Russland grotesk. Demokratische Standards wie freie Wahlen, eine freie, regierungskritische Presse, wirklich unabhängige Parteien, eine unabhängige Justiz und die Anerkennung der Menschenrechte, auch für Regierungskritiker, sind nun wahrlich keine Markenkerne Russlands. Es handelt sich in Russland um fehlende Demokratie und nicht um Demokratiemängel, die es auch bei uns gibt. Das Anheizen nationalistischer Bestrebungen, die man, wenn sie sich wie in Tschetschenien gegen Russland selbst richten, keinesfalls duldet, dient nur vordergründig den Menschen, sondern vielmehr dem Erhalt des herrschenden Systems mit Wladimir Putin an der Spitze. Die russische Regierung ist nicht von außen in eine Zwangslage gebracht worden, die keine andere Politik zulässt. Diese Zwangslage ist selbst gestrickt. Hoffentlich trügen die Zeichen, dass dies begriffen wurde. Christian Schmadel, Altrich Es ist fast vergessen, dass Präsident Janukowitschs Ablehnung eines Handelsabkommens mit der EU zugunsten eines intransparenten Deals mit Russland im November die meistens jungen Ukrainer auf die Straßen trieb. Sie sahen ihre Hoffnungen schon wieder enttäuscht, ohne grassierende Korruption, Nepotismus und Gängelung der Medien und Gerichte zu leben. Der normale Gang der Dinge wäre die Wahl neuer und besserer Volksvertreter. Stattdessen haben die Ukrainer in Putin einen Nachbarn, der neue Instabilität und Streit bringt, indem er kurzerhand behauptet, er müsse seine "Landsleute" auf der Krim schützen, das heißt alle diejenigen, die er als Russen definiert. Die Esten sind natürlich hellhörig geworden. Das Referendum samt militärischer Drohkulisse, Propagandagetöse und Unterdrückung Andersdenkender war eine Farce. Schottland und Katalonien zeigen, wie man es richtig macht: Putin hätte die Wahlen in der Ukraine abwarten müssen. Wir haben uns vor kurzem zu Recht zu 60 Jahren Frieden in Europa gratuliert. Das war nur möglich mit einer zuverlässigen Sicherheitsstruktur mit der stetigen Präsenz der Amerikaner auf der einen (unseren) Seite. Russland unter Putin scheint vollkommen unberechenbar zu sein: Jeden Tag wird in den Medien gerätselt, was er gerade jetzt vorhaben könnte, ob er mehr Normen und Grenzen in unserem Europa verletzen will. Die oft zu hörenden Hinweise auf nicht zu leugnende amerikanische Hybris (die Stichwörter fallen uns schnell ein) machen Putins Demontieren der strategischen "Partnerschaft" in Europa nicht besser. Wer meint, wie unser aktueller Guru Helmut Schmidt, dass Äquidistanz die beste Politik sei, soll auf dem Maidan-Platz eine Rede halten an diejenigen, die vor einigen Monaten demonstrierten und Freunde durch Scharfschützen verloren, und erklären, warum es diesmal mit einem besseren Leben wieder nicht klappt. Ein Autokrat ist gegangen, ein anderer nimmt Einfluss von außen. Die Ukraine könnte ein wohlhabendes Land sein mit ihren Ressourcen, braucht aber gute politische und wirtschaftliche Strukturen. Hoffen wir auf eine baldige nachhaltige Besserung. Peter Oldfield, Mertesdorf Es ist Aufgabe der Weltgemeinschaft (und nicht des Westens), den Ukrainern eine reelle Abstimmung über ihre Zukunft zu ermöglichen. Bei der Saar-Abstimmung 1935 hat der Völkerbund mit Beobachtern "aus aller Herren Länder" den Saarländern dieselbe Chance gegeben. Sollte es dabei zu einer Teilung kommen, ist es wiederum die Aufgabe der Weltgemeinschaft, dass die beiden Teile möglichst gut miteinander auskommen. Bei der Abstimmung wird es wieder eine Ähnlichkeit mit der Saar-Abstimmung geben: Ein Teil des Volkes wird für Unabhängigkeit sein, ein Teil russlandfreundlich und ein Teil Putin-freundlich. Eine geteilte Ukraine mit Vietnam oder Korea zu vergleichen, halte ich für Blödsinn. Dann schon eher ein Vergleich mit Zypern. Wolfgang Riehm, Schillingen

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