"10 000 Dinge konnten schiefgehen"

Houston · Nasa-Computerexperte John Jurgensen überwachte vor 40 Jahren bei der Mondlandung im Kontrollzentrum die Computer im All. Im Interview mit TV-Korrespondent Friedemann Diederichs erinnert er sich: "Gejubelt haben wir erst viel später"

Houston. (die) Als am 20. Juli 1969 US-Astronaut Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte, saß im Nasa-Kontrollzentrum in Houston John Jurgensen vor seinen Monitoren - und hielt wie Millionen Menschen den Atem an. Jurgensen war damals für die Computersysteme an Bord der Apollo-11-Kapsel und der Landefähre "Eagle" verantwortlich. Wie erlebte er die dramatischen Minuten? Welche Bedeutung hat das historische Ereignis für ihn 40 Jahre später? Unsere Zeitung sprach mit dem 65-jährigen Nasa-Veteran, der heute im Raumfähren-Programm arbeitet.

Wie erinnern Sie sich an den Augenblick, als erstmals ein Mensch den Mond betrat?

Jurgensen: Ich saß mit zwei Kollegen an der Steuerkonsole für die Computer, und wir alle waren sehr bewegt von der Bedeutung des Augenblicks. Ich verspürte eine konzentrierte, stille Freude darüber, dass wir das unerreichbar Erscheinende geschafft hatten. Und einen unglaublich intensiven Stolz. Wir haben uns kurz gratuliert, aber so richtig gejubelt und geklatscht haben wir erst später, nach der sicheren Rückkehr der Astronauten. Während der Mondlandung standen wir ja alle unter ganz enormem Druck.

Wie groß war die Furcht, das etwas schief gehen konnte und dass die Astronauten nicht zurückkommen würden?

Jurgensen: Wir waren alle ziemlich optimistisch damals, denn die meisten im Kontrollraum waren jung und hatten nicht den vollständigen Einblick in alle Aspekte der Mission. Heute weiß ich natürlich, dass Apollo 11 ein extrem kompliziertes Abenteuer war. Selbst wenn alle Systeme zu 99,9 Prozent korrekt arbeiteten, konnten immer noch 10 000 Dinge schiefgehen. Der Start der Landefähre vom Mond war wohl das gefährlichste Manöver.

Gab es einen Plan für den Fall, dass beide Astronauten nicht mehr hätten starten können?

Jurgensen: Sie waren sich dieser Möglichkeit wohl bewusst und kannten das Risiko. Vor dem Start ist darüber mit ihnen gesprochen worden. Ein Rettungskonzept gab es nicht. Für Armstrong und Aldrin war es ein Risiko, das mit zum Beruf gehörte. Wir vergessen gerne, dass wir alle täglich Risiken eingehen, und wenn es nur die Fahrt auf der Autobahn ist. Ihre Risiken waren natürlich viel größer.

Wie hat sich die Mondlandung auf ihr Leben ausgewirkt?

Jurgensen: Natürlich änderte sie die Art und Weise, wie ich die Welt angesehen habe. Man bekommt durch ein solches Ereignis eine ganz andere, bewusstere Lebensperspektive für die Möglichkeiten, die der Mensch hat - vor allem wenn es darum geht, unmöglich Scheinendes zu erreichen.

Wie sehen Sie Überlegungen, wieder Astronauten zum Mond und später sogar zum Mars zu schicken? Ist dieser enorme Aufwand angesichts knapper öffentlicher Kassen gerechtfertigt?

Jurgensen: Auf jeden Fall. Wir erhalten doch einen enormen Fundus an neuen Informationen, sei es in den Bereichen Medizin, Technologie oder Computerwissenschaft. Die Investitionen zahlen sich also aus. Vor einer Mars-Mission müssen wir uns jedoch noch richtig klar werden, welche Belastungen dabei auf einen Astronauten zukommen und wie dieser sie bewältigen kann. Das sollte gut überlegt werden.

Was sagen sie zu jenen, die bis heute anzweifeln, dass die Mondlandung jemals stattgefunden hat und glauben, die US-Regierung habe sie auf der Erde filmen lassen?

Jurgensen: Jede Verschwörung setzt doch voraus, dass alle Beteiligten den Mund halten werden - und zwar für immer. Glauben Sie wirklich, dass dies bei tausenden Menschen funktioniert, die an den Apollo-Missionen beteiligt waren? Ich kann über solche Theorien nur lachen.

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