Das Fanal von der Straße

Vor genau zwei Jahren hat Peter Hartz, Personalvorstand beim Volkswagen-Konzern, den Mund zu voll genommen: Mit dem Konzept, das die nach ihm benannte Kommission erarbeitet habe, lasse sich das Problem der Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen, versprach er im Beisein von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der wohlgefällig dazu nickte.

Vielen, die damals die Botschaft hörten, fehlt bis heute der Glaube, und tatsächlich sind die ersten Stufen des Konzepts weitgehend verpufft. Und just in der Phase, da die vierte und wichtigste Stufe gezündet wird, klettert die Arbeitslosigkeit auf neue Rekordhöhen. Wen wundert es angesichts dieser kapitalen Fehlprognose, dass die Skepsis der Bürger steigt? Die Menschen trauen dem Braten nicht mehr, den die verantwortlichen Politiker ohne Unterlass lobpreisen, und deshalb demonstrieren sie auch gegen Versprechungen und Beschwichtigungen, die sich als unhaltbar erweisen. Es ist irreführend, den Unmut über "Hartz IV" auf das angebliche Vermittlungsproblem abzuwälzen. Die Menschen sind gut informiert, und sie wissen, dass in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit das beste Förderkonzept nicht viel bringen kann, wenn keine Stellen da sind. Umso erstaunlicher das krampfhafte Bemühen der Politik, die schmerzhafte Operation als kleinen Eingriff darzustellen, und den Eindruck zu erwecken, die Aufregung und Angst der Menschen entbehre jeder Grundlage. Die Wahrheit ist: Hartz IV ist die nachhaltigste und wichtigste Sozialreform der Nachkriegszeit. Anstatt die Notwendigkeit der Reform mit sauberen Argumenten zu begründen, wiegelt die Bundesregierung ab, sucht der Kanzler die Schuld mit abstrusen Vergleichen ("Volksfront") auf linke Trittbrettfahrer umzulenken, distanziert sich die Opposition in heuchlerischer Weise, obwohl sie der Reform zugestimmt hat. Auch deshalb gehen die Leute auf die Straße. Die anschwellenden "Montagsdemonstrationen" sollten von der Politik als das verstanden werden, was sie sind: ein Fanal, ein Feuerzeichen. Wie die Nachbesserungen der vergangenen Woche belegen, haben sie schon Wirkung gezeigt. Schwer zu sagen, ob sie sich zum Flächenbrand ausweiten oder bald wieder abebben werden. Fest steht: Die Reform ist das Werk einer ziemlich großen Koalition, und sie wird von fast allen Experten befürwortet. Sie könnte allenfalls noch kleine Korrekturen erfahren. Aber sie wird kommen. nachrichten.red@volksfreund.de

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