"Jetzt kommt eine Grausamkeit nach der anderen"

Mainz · Die neue rot-grüne Landesregierung ruft mit ihrem Sparpaket schon vor ihrem Amtsantritt am Mittwoch Proteststürme hervor. Nach den Juristen, Beamten und Polizisten zürnen nun auch die Lehrer im Land.

Mainz. Finanzminister Carsten Kühl und Staatssekretär Salvatore Barbaro (beide SPD) haben sich Zeit genommen an diesem Morgen. Normalerweise ist es unüblich, ein Sparpaket mit seinen pikanten Details schon vor der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten der Öffentlichkeit zu präsentieren. Aber Kurt Beck hat seinen Segen gegeben, nachdem der designierte Justizminister Jochen Hartloff kürzlich schon einiges preisgegeben und damit die Koblenzer Juristen auf die Straßen getrieben hatte.Der Sparanteil der Justiz am Gesamtpaket von 1,1 Milliarden Euro bis 2016 fällt mit etwa 4,5 Millionen Euro bescheiden aus. Doch der Protest liefert einen Vorgeschmack auf das, was nun ins Haus steht. Schließlich ist ein kräftiger Personalabbau geplant."Bei mir steht das Telefon nicht mehr still", erzählt Johannes Müller, Landeschef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), nachdem er und die Lehrer von den rot-grünen Kürzungsplänen erfahren haben. 2000 Stellen sollen bis 2016 wegfallen. "Ein Schlag ins Kontor", wettert Müller. "Jetzt kommt eine Grausamkeit nach der anderen." Der VBE habe oft Belastungen im Schulsystem angemahnt, SPD und Grüne hätten im Wahlkampf Besserungen versprochen. Das Gegenteil trete ein. "Das ist eine Riesenttäuschung." "Unmöglich" findet auch Klaus-Peter Hammer, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die rot-grünen Pläne im Schulsektor. "Bildungspolitik unter dem Diktat der Schuldenbremse", klagt Hammer. Der Verband der Realschullehrer (VDR) zieht gegen die Kürzung von Mitteln für Vertretungslehrer zu Felde. Es gebe großen Unmut, sagt Landeschef Bernd Karst.Dass die ab 2020 geltende Schuldenbremse schmerzhafte Einschnitte erfordern wird, hat Finanzminister Kühl stets deutlich gemacht. Da Personalausgaben 40 Prozent des Landeshaushalts ausmachten, müsse hier der Rotstift angesetzt werden. Neben den 2000 Lehrerposten sollen bei der Polizei 350 Stellen eingespart werden, in der Finanzverwaltung 300. Betriebsbedingte Kündigungen werde es nicht geben. Kühl verweist bei den Lehrern darauf, dass 3000 Stellen nicht mehr benötigt würden, weil es weniger Schüler geben werde. Man streiche aber nur 2000 Stellen, 1000 erhalte man zugunsten kleinerer Klassen und einer besseren Unterrichtsversorgung. Insgesamt umfasst das Sparpaket 1,1 Milliarden Euro. Ein Drittel davon hat das Ministerium noch nicht kalkuliert. Die Hoffnung gilt auch den prognostizierten Steuermehreinahmen. 351 Millionen Euro sollen dieses Jahr mehr fließen, insgesamt bis 2016 2,3 Milliarden Euro. Kühl traut dem nicht recht. "Ich halte es für fraglich, ob das so kommt." Selbst wenn die optimistischen Schätzungen Realität würden, lägen die Steuereinnahmen noch immer unter denen des Jahres 2008. Vorsorglich sei beschlossen worden, ausbleibende Fördermittel, etwa aus den EU-Strukturfonds, nicht durch Landesmittel zu ersetzen.Kultur bekommt mehr Geld

Bei den Kürzungen der Budgets der Landesbetriebe - 100 Millionen Euro allein beim LBB - geht das Ministerium davon aus, dass teure US-Baupläne für militärische Liegenschaften ausgleichend wirken werden. Vorwürfe von CDU-Chefin Julia Klöckner, Rot-Grün spare bei anderen und gönne sich selbst bis 2016 für 20 Millionen Euro mehr Posten, nennt Finanzstaatssekretär Barbaro "dreist". Das zusätzliche Integrationsministerium verursache Kosten von höchstens zwei Millionen Euro. SPD und Grüne geben allerdings an einigen Stellen durchaus mehr Geld aus, wie Minister Kühl darlegt. Das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium der Grünen erhielten bis 2013 insgesamt zehn Millionen Euro mehr, für die Kultur gebe es 2,5 Millionen zusätzlich und für die Kindertagesstätten zwei Millionen.Meinung

Rot-Grün bricht WahlversprechenKaum liegen die Details des Sparpakets auf dem Tisch, bricht der geballte Zorn über Rot-Grün herein. Dabei war bei einem Schuldenberg von 34 Milliarden Euro klar, dass eisern gespart werden muss. Und wenn nicht ein Ministerpräsident wie Kurt Beck die Sache in Angriff nimmt, der seine letzten Jahre vor sich hat, wer dann? Grundsätzlich gebührt der neuen Landesregierung ein Lob für die mutigen Einschnitte. Allerdings begehen SPD und Grüne einen Kardinalfehler, indem sie ein Wahlversprechen brechen. Bei der Bildung sollte nicht gespart werden, sie wurde im Wahlkampf als unantastbar bezeichnet. Wenn aber 2000 Lehrerstellen gestrichen werden, kann davon keine Rede mehr sein. Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. f.giarra@volksfreund.de

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