"Ya, Hussein! Ya, Hussein!"

Aschura ist der höchste Feiertag der Muslime schiitischen Glaubens. Sie gedenken an diesem Tag des Todes von Imam Hussein, Enkel des islamischen Religionsstifters Mohammed. Der Eifeler Student Andreas Burkard hat das schiitische Trauerfest in Teheran miterlebt.

Teheran. Der Trommelschlag ist gewaltig. Jäh zerreist es die Stille. Die Prozession zu Ehren des Imams Hussein zieht langsam vorbei: grüne und schwarze Fahnen im Abendlicht. Auf beiden Seiten der Trommler bilden Männer eine lange Linie - im Sekundentakt klatschen Eisenpeitschen auf ihre Schultern. Sie drehen sich zur einen Seite, sie drehen sich zur anderen Seite: "Ya, Hussein! Ya, Hussein!" Ach, Hussein! Am Ende: schwarzverschleierte Frauen. Zuschauer halten links und rechts Schritt, schlagen sich mit der rechten Hand auf die Brust: "Ya, Hussein!"

Warum ziehen Menschen durch Teheran und geißeln sich selbst? Ein grober Abriss islamischer Geschichte mag Klarheit schaffen. Die Schiiten bilden innerhalb der muslimischen Welt mit 15 bis 20 Prozent der Gesamtbevölkerung eine relativ kleine Minderheit. Der große Rest bezeichnet sich als Sunniten.

Nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 gab es unter den Muslimen eine Gruppe, die Ali, Vetter und Schwiegersohn Mohammeds, als seinen legitimen Nachfolger ansah. Die Mehrheit aber wählte Abu Bakr, einen der engsten Gefolgsmänner des Propheten, zum Kalifen. Mit diesem Nachfolgestreit begann die Spaltung des Islam.

Für die Schiiten kann nach Mohammeds Tod nur ein Nachkomme Alis den Koran korrekt auslegen. Man nennt diesen religiösen Führer Imam. Gläubige Schiiten sehen die Imame als eine Art Bindeglied zwischen sich und Gott: Ähnlich wie im katholischen Glauben zu den Heiligen gebetet wird, bitten sie bei ihnen um Fürsprache. Die Mehrheit der Schiiten erkennt zwölf Imame als rechtmäßig an.

Fremdheit und Faszination



Der 12. Imam wird am Ende der Zeiten zurückkommen, um zu richten und eine gerechte Ordnung herzustellen. Im Gottesstaat Iran legen Mullahs als Vertreter des Imam das koranische Recht aus. Nach den Überlieferungen starben alle Imame den Märtyrertod. Das bedeutendste Martyrium ist das des 3. Imams Hussein, das von Schiiten in aller Welt als Fest der Trauer und Buße begangen wird.

Die an diesem Tag durch Teheran ziehende Menschenmasse ist gewaltig. Trauer-Prozessionen erreichen von allen Seiten den zentralen Platz: "Ya Hussein, ya Hussein!" Zu Ehren des Imams werden Schlachtopfer dargebracht. Heutzutage fließt an Aschura im Iran meist nur noch Tierblut. Noch vor einigen Jahrzehnten aber stach man sich Eisenstangen und Pfeile in Oberkörper und Gliedmaßen - eine Form der Selbstgeißelung, die heute verboten ist.

Bei aller Fremdheit und Faszination des Aschura-Festes bleibt die Frage nach dem Warum allgegenwärtig. Zuallererst ist die Teilnahme an Aschura ein Bußritual, eine "gute Tat vor Gott". Für den Wissenschaftler Gustav Thaiß ist das Martyrium Husseins aber auch Teil eines für alle Religionen grundlegenden Problems: Warum leiden wir? Und wie ertragen wir Leid? Hussein steht so für durch Tyrannei und Ungerechtigkeit unrechtmäßig erfahrenes Leid und außergewöhnliche Leidensfähigkeit. Die Leidfrage hat für jede Minderheit große Bedeutung - so auch für die Schiiten.

zur person

Andreas Burkard ist im Eifel-Ort Greimerath aufgewachsen. Der 22-Jährige studiert seit 2007 Islamwissenschaften an der Universität Oxford. Seit einigen Monaten ist er für ein Jahr in Teheran. Im TV schreibt Burkard in unregelmäßigen Abständen über das Leben im Iran.

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