Rätsel um die Katapultkugeln in der Saar

Eine in Schwemlingen entdeckte Katapultkugel stammt aus einem Fund in der Saar, der bei Baggerarbeiten gemacht wurde. Aber: Wie kamen die Kugeln in die Saar? Arthur Fontaine versucht, Antworten zu finden. Die Katapultform der Blide konnte riesige Ausmaße erreichen. Zeichnung(1): Rolf Arstad

Trier/Schwemlingen. Durchstreift man seine Heimatregion öfter mal zu Fuß, trifft man immer wieder auf Interessantes und Besonderes. So erlebte Arthur Fontaine es auch dieser Tage, als er an der Straße "Zum Schotzberg" in Schwemlingen im Vorgarten der Familie Kuhn eine schwere Katapultkugel aus Sandstein gewahrte. Es stellte sich heraus, dass sie schon vor längerer Zeit dort als Exponat platziert worden war. Nun war sein Interesse geweckt, und er begann, etwas über die Herkunft und die Vorgeschichte dieses außergewöhnlichen "Schmuckstücks" herauszufinden. Er erfuhr zunächst, dass Richard Kuhn die Steinkugel auf gut saarländisch vom Bekannten eines Bekannten bekommen hatte und, dass sie zu einem Fund mehrerer solcher Kugeln in der Saar gehört hat. Der Bekannte war Richard Biermann aus Schwemlingen. Als die Saar Ende der 1980er Jahre im Saarschleifenbereich zur Schifffahrtsstraße ausgebaut wurde, war Biermann Lagerverwalter des mit dem Ausbau befassten Unternehmens. Bei Baggerarbeiten im Fluss stieß man um 1988 ausgangs des Saarschleifenbogens auf die Steinkugeln und barg sie. Richard Biermann erhielt eine der Kugeln als Dankeschön für seine Dienste. Da er selbst nichts Rechtes mit dem Geschenk anzufangen wusste, reichte er es an den heutigen Besitzer weiter. Über die Fundstelle der Steinkugeln herrscht offenbar Einigkeit, nicht jedoch darüber, ob die Kugeln vereinzelt und gestreut aufgefunden wurden oder, ob sie alle an einer Stelle lagen. Diese Unsicherheit aber lässt für Arthur Fontaine mehrere Möglichkeiten zu, welches Ereignis die Kugeln dorthin gebracht hat. Die Kugel in Schwemlingen besteht aus dichtem, hartem Sandstein, hat einen Durchmesser von 44 Zentimetern und wiegt rund 105 Kilo. Im Museum der Burg Montclair ist ein weiteres Exemplar des Fundes aus der Saar ausgestellt. Der Verwendungszweck solcher Steinkugeln ist bekannt und klar: Sie wurden mit mobilen, demontierbaren Katapulten (Wurfmaschinen) gegen Mauern, Zinnen, Wehrgänge, Dächer und Toranlagen von Befestigungswerken geschleudert, um Zerstörung anzurichten und Breschen zu schlagen. Eine einfache, leichte Form des Katapultes erhielt seine Wurfkraft durch ein Bündel verdrillter Seile oder Sehnen, zwischen deren Schlaufen sich der Fuß des Hebel-Wurfarmes befand. Nach dem Verdrillen der Seile wurde der Wurfarm mit Hilfe einer Winde nach unten gezogen und so noch stärker gespannt. Der Stein befand sich am Ende des Hebelarms in einer Schlaufe oder Wurfschlinge. Das Loslassen des Wurfarms gab schlagartig die Rückstellkraft der unter starker Spannung stehenden Seile frei und lieferte so die mechanische Energie, um den Wurfarm nach vorne zu schleudern. Durch Abbremsen des Armes mit Hilfe eines Prall polsters löste sich der Stein aus der Wurfschlinge und erhielt zusätzliche Beschleunigungskraft für seine ballistische (bogenförmige) Bahn zum vorgesehenen Ziel. Solche einfachen Formen von Katapulten konnten Steinkugeln von etwa 50 Kilo rund 100 Meter weit schleudern. Die Kugelform der Steine stabilisierte deren Flugbahn, was der Treffsicherheit zugute kam. Und sie setzte beim Aufschlagen ihre ganze Kraft optimal - da in einem Punkt des harten Steins konzentriert - frei. Das gefürchtetste und präziseste Katapult des Mittelalters war die Blide (auch Tribock oder Trébuchet genannt). Diese Wurfmaschine konnte gewaltige Ausmaße mit entsprechender Durchschlagskraft ihrer Steine haben. Die Blide stellte im Wesentlichen einen riesigen zweiarmigen Hebel dar, der seine Wurfkraft durch große Gewichte am kurzen Hebelarm erhielt. Der lange Hebelarm (bis 20 Meter lang) war an seinem Ende mit einem Wurfnetz zur Aufnahme des Steines versehen. Dieser Wurfarm wurde mit Winden und Flaschenzügen gegen die Kraft der Gewichte um den Hebel-Drehpunkt zur Erde gezogen, damit gespannt und in dieser Position zunächst arretiert. Das Lösen der Wurfarm-Arretierung setzte dann unter Ausnutzung extremer Hebelwirkung auf einen Schlag die ganze Kraft der Gegengewichte (bis 15 Tonnen) frei, die den Wurfarm nach oben rissen. An einem definierbaren Punkt der Armbewegung trat die Steinkugel aus dem Wurfnetz aus und gelangte auf ihre ballistische Flugbahn.Bliden konnten 200 Kilo schwere Steine bis 600 Meter weit schleudern. Traf der Wurfstein einer solchen Riesen-Blide sein Ziel optimal, etwa eine Befestigungsmauer, war die Bresche das meist sichere Ergebnis. Bringt man die Wurfsteine von der Saarschleife mit der Burg Montclair in nahe liegende Verbindung, so gibt es nur einen Anlass für das Kugeldepot im Fluss: die Belagerung der Burg Alt-Montclair im Jahr 1351. Der damalige Burgherr, der Raubritter Jakob von Montclair, hatte sich durch zahlreiche schwerwiegende Übergriffe im Land und gegenüber seinem Lehnsherrn, dem mächtigen Trierer Erzbischof Balduin, endgültig dessen Geduld verscherzt. Balduin rückte daher im April 1351 mit einer Heermacht gegen Jakob an und errichtete nach anfänglichen Misserfolgen drei Belagerungsburgen auf den Höhen rings um Montclair, eine vierte im Montclair-Vorland oberhalb von St. Gangolf. Die Belagerung dauerte acht Monate. Die alten Texte der ausführlichen Belagerungsgeschichte berichten an mehreren Stellen davon, dass die Belagerungsburgen mit Wurfmaschinen ausgestattet waren. Die großen Entfernungen zwischen den Belagerungsburgen und der Kernburg Montclair (etwa 400 Meter, 800 Meter und 1100 Meter) erlaubten auch für sehr leistungsfähige Bliden nur Steinkugeln von geringerer Größe, etwa wie sie bei unserem Kugelfund vorliegen. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass Balduin den (sehr kostspieligen) Aufwand betrieb, Groß-Bliden gegen Montclair zum Einsatz zu bringen, auch wenn bekannt ist, dass er bei der Belagerung der Burg Eltz (1331 bis 1336) eine solche verwendet hat. Wäre ein solcher Einsatz im Fall Montclair erfolgt, würden die geschichtlichen Quellen über diese Besonderheit, wie im Fall der Burg Eltz, wahrscheinlich berichten. Schließlich ist der Fundort dieser Kugeln, bezogen auf ihre möglichen Flugrichtungen, zu bedenken. Dass Kugeln in der Saar gelandet sein können, hat mit den vom Montclair-Kamm nördlich und westlich steil abfallenden Berghängen zu tun. Es ist aber kaum vorstellbar, dass bei den vorgegebenen Flugbahnen (Standort der Belagerungsburgen mit Ziel Kernburg Montclair) Steinkugeln an den Fundort gelangt sein könnten, gleichgültig, welche der drei infrage kommenden Belagerungsburgen als Abwurfstelle angenommen wird.Bleibt noch eine andere Möglichkeit: Balduin konnte ein Katapult in kurzer Entfernung vor der Burg beziehungsweise dem Burgtor im Südosten der Feste installieren. Über die Burg hinausfliegende Steine (Fehlwürfe) könnten dann unter Umständen an der Fundstelle in der Saar gelandet sein. Der Gedanke, dass sich Jakob aus der Burg heraus mit Wurfmaschinen gegen die Angreifer gewehrt hätte, ist nicht grundsätzlich zu verwerfen, führt aber aufgrund ähnlicher Überlegungen zu vorgegebenen Zielpunkten, Flugrichtungen und Flugstrecken, noch weniger notwendig zu dem Steinfund.Alle bisherigen Überlegungen sind aber hinfällig, wenn man davon ausgeht, dass die Kugeln angehäuft, dicht beieinander an einer Stelle in der Saar gefunden wurden. Katapultbeschuss hätte eine Streuung zur Folge gehabt und so zu Einzelfunden geführt. Lagen die Kugeln aber an einer Stelle, haben sie sehr wahrscheinlich mit Alt-Montclair und deren Belagerung überhaupt nichts zu tun. In dem Fall bleibt nur, den Fund in Zusammenhang mit der Saarschifffahrt zu sehen: Der Saarschleifenbogen, das Fundgebiet der Steinkugeln, war bis ins 19. Jahrhundert hinein ein bei den Schiffern gefürchteter Flussabschnitt, "Welles" genannt, mit Untiefen, Strudeln, Schnellwasserstellen und Felsriffen in der schmalen Fahrrinne. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wird von neun Schiffsuntergängen im "Welles" berichtet. Die Lagerung der Kugeln an einer Stelle in diesem Bereich wäre plausibel mit dem Verlust eines Schiffs zu erklären, bei dem auch die Ladung - Katapultkugeln - verloren ging. Andererseits ist bekannt, dass die Saar im Sommer häufig sehr geringen Wasserstand hatte, stellenweise manchmal nur 60 Zentimeter. Ein mit schweren Katapultsteinen beladenes Saarschiff hätte solche Stellen ohne Abwurf von "Ballast" nicht passieren können. Wie es auch immer gewesen ist, der Katapultstein von Schwemlingen, wie auch die übrigen Steine aus diesem Fund, verdienen Interesse als Erinnerungsobjekte mit regionalgeschichtlichen Bezügen und Anknüpfungspunkten sowie als Belegstücke aus mittelalterlicher Zeit. Sie erhalten dieses Interesse auch ein Stück weit wegen der Rätsel ihrer Herkunft.

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