Der Schönheitswahn beutelt die Frauen

PRÜM. Alice Schwarzer hat vor 750 Zuhörerinnen und Zuhörern beim Eifel Literatur Festival in Prüm ihr neues Buch "Alice Schwarzer porträtiert Vorbilder und Idole” vorgestellt. Der TV sprach mit der Wegbereiterin des Feminismus über Vorbilder und ihre Sicht auf das Verhältnis der Geschlechter heute.

 Sie gilt als die Grande Dame des Feminismus in der Bundesrepublik schlechthin: Alice Schwarzer.Foto: Manuel W. Schmitt

Sie gilt als die Grande Dame des Feminismus in der Bundesrepublik schlechthin: Alice Schwarzer.Foto: Manuel W. Schmitt

"Menschen brauchen Vorbilder" schreiben Sie in Ihrem neuen Buch. Ein Vorbild von Ihnen verraten Sie: Simone de Beauvoir, mit der sie auch befreundet waren. Hatten Sie zuvor auch weniger berühmte Vorbilder oder ist das ein Geheimnis Ihres Erfolges, immer nach den Sternen zu greifen? Schwarzer: (lacht) Im Rückblick sehe ich - ich bin ja bei den Großeltern groß geworden - dass meine Großmutter mit ihrem Gerechtigkeitssinn, ihrem politischen Verstand und ihrer Fähigkeit der Empörung gegen Unrecht ein Vorbild von mir war. Sie hat mich sehr stark geprägt. Und sie war nicht berühmt. Wie kommen Sie mit Ihrer Vorbild-Funktion klar? In Ihrem neuen Buch stellen Sie fest, dass Frauen oft damit Probleme haben, Vorbild zu sein. Schwarzer: Ich habe damit keine Probleme. Ich hatte in den 70ern damit Probleme, als man kein Vorbild sein durfte, da wollten wir alle gleich sein. Eine Frau, die als Vorbild empfunden wurde, zog leicht den Vorwurf auf sich: "Du machst dich jetzt nur wichtig." Das ist natürlich Quatsch. Ich bin offensichtlich jemand, der Frauen und Mädchen ermutigt - das sehe ich Tag für Tag an den Briefen, die ich bekomme. Das finde ich eine sehr schöne Sache. Ich finde aber, man braucht sich nichts darauf einzubilden, Vorbild zu sein. Das bedeutet eine große Verantwortung. Man darf das Vertrauen, das man von Menschen erworben hat, dadurch dass man bestimmte Dinge geleistet hat oder gewagt hat, nicht missbrauchen. Wie ist es mit jungen Frauen? Haben Sie und "Emma" es nicht zunehmend schwerer, bei dieser Generation anzukommen? Schwarzer: So will es das Klischee - faktisch ist es genau das Gegenteil. Leserinnen-Analysen zeigen, dass die stärkste Leserinnen-Gruppe von "Emma" heute die jungen Frauen sind. Rückschritt und Fortschritt zugleich

Das erstaunt mich. Schwarzer: Mich nicht. Ich denke, dass junge Leute vieles von dem, was jemand wie ich schon vor 30 Jahren vertreten hat, heute selbstverständlich finden. Zum Beispiel, dass Mutterschaft kein Schicksal ist, dass auch Frauen das Recht auf einen Beruf haben, dass auch Männer im Haus zupacken müssen. Die finden es einfach gut, dass es Frauen gibt, die da schon ein bisschen den Weg geebnet haben - auch wenn die Hürden leider noch nicht alle beseitigt sind. Wie sieht Ihrer Meinung nach das Verhältnis der Geschlechter heute aus? Sie sprechen von Rückschritt und Fortschritt zugleich. Schwarzer: Auf große Fortschritte folgen automatisch immer auch starke Rückschläge, darum haben wir es zur Zeit mit dem Fortschritt und dem Rückschlag zugleich zu tun. Das ist bei jeder gesellschaftlichen Veränderung so. Einen Fortschritt finde ich, dass Forderungen, für die wir Pionierinnen vor 30 Jahren ausgelacht worden sind - plakativ gesagt: ‚Die Hälfte der Welt für die Frauen, die Hälfte des Hauses für die Männer!‘ Oder: ‚Frauen können im Prinzip alles, was Männer können und umgekehrt‘ - dass diese Forderungen heute Allgemeingut sind im Bewusstsein. Und die Bewusstseinsveränderung ist der erste Schritt. Es sind ja nur 30 Jahre neuer Feminismus nach 5000 Jahren Männerherrschaft. Und die Rückschläge? Schwarzer: Rückschläge sind neue Probleme wie der Schlankheitswahn oder der Schönheitswahn. Das betrifft vor allem die jungen Mädchen und Frauen. Die Magersucht grassiert heute weltweit und jede Zehnte, die daran erkrankt, stirbt. Das ist bedrückend, dass junge Frauen, denen heute theoretisch die Welt offen steht, sich dieser Selbstzerstörung unterwerfen, die ihnen von der Werbung und von den Medien eingehämmert wird. Da müssen wir sehr schnell und offensiv rangehen. Und dünn sein steht ja auch im Zusammenhang mit sexy sein. Schwarzer: So ist es. Das ist der Versuch, die doch relativ emanzipierten jungen Frauen einzuschüchtern mit neuen Zwängen: dünn sein, schlank sein, schön sein. Sie sollen sich dünne machen - statt endlich Raum einzunehmen. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Art von Problemen mit solcher Wucht wieder aufflammt. Aber das Problem fällt nicht vom Himmel, das ist eine Reaktion auf die Emanzipation. 90 Prozent Kraft für "Emma"

Sie sind 60 Jahre alt - machen Sie sich Gedanken über eine Nachfolgerin? Schwarzer: Oh ja, über die mache ich mir schon seit über 20 Jahren Gedanken. Denn als ich die "Emma" gegründet habe, habe ich nicht gedacht, dass ich 26 Jahre lang in der "Emma"-Redaktion sitzen muss. Ich bin ja auch Buchautorin. Seit 1977 fließen jedoch 90 Prozent meiner Arbeitskraft in das "Emma"-Machen. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, denn ich finde, das Blatt hat es verdient, über mich hinaus zu leben.

Mit Alice Schwarzer sprach unsere Redakteurin Marion Maier.

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