Premiere Die Fiktion vom Guten, Schönen, Wahren

Trier · Spektakulär und subtil zugleich: Heinz Lukas-Kindermanns „Zauberflöten“- Inszenierung im Trierer Theater begeistert das Publikum.

 Eine Frage der Perspektive: Vor der Spiegelwand zeigt sich jeder Akteur von mehreren Seiten.

Eine Frage der Perspektive: Vor der Spiegelwand zeigt sich jeder Akteur von mehreren Seiten.

Foto: TV/ArtEO Photography

Was ist das für eine irritierend-faszinierende „Zauberflöte“! Heinz Hausers immer wieder sacht modifiziertes Einheitsbühnenbild distanziert sich von jeder Konvention des Mozart-Musiktheaters. Statt buntem Zauberwald dominieren geometrische Figuren den Bühnenhintergrund. Der mehr burschikos als aristokratisch gekleidete Tamino (Kostüme: Carola Vollath) verläuft sich auf der Flucht vor dem Drachen in mathematischem Wirrwarr und landet vor einer riesigen Spiegelfläche. Die zeigt alle Akteure aus mindestens zwei Perspektiven – direkt und in der Spiegelung. Zeitweise gehen Projektionen und Spiegelbilder ineinander über, dann schwebt der Sarastro wie ein Phantom über seinem Hofstaat. Zum spektakulären Bühnenbild kommt außerordentliche Sorgfalt bei der Personenführung. Regisseur Heinz Lukas-Kindermann, unterstützt von den Choreographen Darwin José Dias Carrero und Robert Przybel, hat mit den Sänger-Darstellern präzise gearbeitet. Schon die Eröffnungsszene besticht durch ihren Einfallsreichtum. Welch detaillierte Bewegungen, welch detaillierte Gesten sind bei den drei Damen möglich! Die gesprochenen Dialoge, in der Regel nur Pflichtübungen, werden darstellerisch sensibel ausgefeilt.

Und was der Regisseur auf die Bühne stellt – Victor Puhl, die Philharmoniker und die Sängerinnen und Sänger, sie lösen es in der Musik ein. Es ist ein schlanker, ein beweglicher und deutlich artikulierter Mozart. Zuweilen freilich will es scheinen, als hätten die Akteure allzu viel Respekt vor Mozarts heikler Komposition, als scheuten sie sich, frei und offen zu musizieren. Die Ouvertüre klingt in der Theater-Akustik allzu nüchtern. Das erste Finale läuft reichlich zäh ab, und die Violinen haben im zweiten Akt mit der Begleitung der drei Knaben einige Mühe. Das Damen-Terzett im ersten Akt wackelt bedenklich, generell erreicht die Intonation bei Evelyn Czesla, Sotiria Giannouli und Silvia Lefringhausen nur Näherungswerte. Hinzu kommen Besetzungsprobleme. Der an sich hervorragende Counter-Tenor Fritz Spengler ist für den Monostatos nicht ideal und bleibt entsprechend unprofiliert. Und für Frauke Burg kommt nicht nur die Illia im „Idomeneo“, sondern auch die Königin der Nacht ganz sicher zu früh.

Ganz anders, ganz souverän dagegen James Elliot. Der singt die Bildnis-Arie sängerisch perfekt und dazu mit innigster Lyrik. Überhaupt erreicht das Trierer Ensemble vielfach ein beachtliches Niveau. Eva-Maria Amans Pamina besticht mit ihrer Strahlkraft und sängerischen Intensität. Irakli Atanelishvilis Sarastro glänzt mit unsentimentaler Würde, bleibt in der Tiefe freilich entwicklungsfähig. (weitere Akteure: László Lukács, Carsten Emmerich, Fernando Gelaf, Leonie Yanishevskaya, Emilia Schaaf, Miao Yan Law, Helena Steiner, Gor Arsenian). Chor und Extrachor (Angela Händel) erweisen sich wieder einmal als präsent und standfest. Und der Papageno: Wie viel sängerisch-darstellerische Energie, wie viel treffsicheren Witz, welchen Pointenreichtum bringt Bonko Karadjov mit! Mehrfach rückt er ganz in den Mittelpunkt und macht die übrigen Akteure zu Randfiguren. Und das Regiekonzept ist flexibel und offen genug für diesen Einbruch des Volkstheaters in den anspruchsvollen Opernstil der Zauberflöte.

Lukas-Kindermanns Inszenierung distanziert sich von allen eindeutigen Zuordnungen. Projektionen und Spiegelbilder signalisieren: Nichts ist mit Sicherheit real. Die Wirklichkeit kann Täuschung sein und die Einbildung Realität. Gut und Böse sind ineinander verschränkt und verlieren ihre normative Kraft. Sie werden zu rein persönlichen Glaubenssätzen. Damit dringt die Regie vor zum irritierenden Kern der „Zauberflöte“ – einer unauffälligen, schleichenden Abkehr von scheinbar ewigen Prinzipien. Die Königin der Nacht ist nicht nur die blind wütende Rächerin, sondern auch – Zitat Pamina – „die gute, zärtliche Mutter“. Umgekehrt mischen sich in die salbungsvollen Reden der Sonnenpriester unverhüllte Morddrohungen. Am Schluss, wenn Sarastro die Vernichtung der Heuchler verkündet, beschwört sein Gefolge die ewige Schönheit und Weisheit in tristem Schwarz. Trotz aller gegenteiligen Bekundungen – das Reich des Guten, Schönen und Wahren bleibt bestenfalls eine gut gemeinte Fiktion.

Das Ende der Spielzeit ist im Trierer Theater eine Zeit des Abschieds. Bonko Karadjov, Fritz Spengler und Frauke Burg verlassen das Ensemble zum Saisonende. Victor Puhl dirigiert mit der „Zauberflöte“ seine letzte Opernproduktion als Trierer Generalmusikdirektor. Sie alle wurden mit kräftigem Beifall bedacht. Triers Ex-Intendant Heinz Lukas-Kindermann indes erntete wahre Jubelstürme für seine grandiose Regie.

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