Messias vom anderen Stern

Luxemburg · Klein, schlank, stark: So kommt Händels "Messias" in der Interpretation der französischen Barock-Spezialistin Emmanuelle Haim und ihrem Ensemble "Concert d\'Astrée" daher. Die 1200 Zuschauer in der Philharmonie waren förmlich aus dem Häuschen.

Luxemburg. Bei Händels Messias wird gerne geklotzt. Monumentale Chöre, riesige Orchester: Die Masse soll\'s bei vielen Aufführungen richten. Halleluja.
Emmanuelle Haim, unter den vielen Edelsteinen der alten Musik in Frankreich einer der strahlendsten, kommt mit 25 Musikern und 20 Chorsängern aus. Das beschert der Aufführung eine unglaubliche Leichtigkeit und eine Agilität, die es möglich macht, vieles neu zu hören. Alles schwebt, tänzelt: Großes Kopf-Kino, aber ohne jeglichen Drang zum Pompösen.
Die kleine Besetzung geht aber nur dann, wenn jeder einzelne Ensemble-Sänger und -Musiker so perfekt ist wie ein Solist, und dennoch immer im Dienst des kollektiven Klangbilds. Das gelingt dem "Concert d\'Astrée" musterhaft. Und so entsteht eine Mischung aus Wucht und Finesse, aus Standvermögen und Beweglichkeit, die das Oratorium zu einer lebendigen Erzählung geraten lässt, mit permanenten Wechseln des Tempos und der Stimmungslagen.
Die vier vorzüglichen Solisten (Lucy Crowe, Sopran; Tim Mead, Altus; Andrew Staples, Tenor; Christopher Purves, Bassbariton) fungieren als Erzähler der Heilsgeschichte, engagiert bis ins Mark, sorgfältig mit jedem Wort umgehend, ohne Angst vor Gefühlen. Sie sind den Partien ausnahmslos stimmlich so gewachsen, dass sie nicht kämpfen müssen und ihre Energie für eine ungemein packende Gestaltung nutzen können. Sie wirken so begeistert, als würden sie zum ersten Mal die Geschichte vom Tod und der Wiederauferstehung des Jesus Christus erzählen, mit strahlenden Augen. Auch das Orchester platzt förmlich vor Spiel- und Lebensfreude.
Das alles hat mit der charismatischen Dirigentin zu tun. Da steht ein rotgelockter Kobold auf der Bühne, lässt die Musik in den eigenen Körper fahren wie eine Ausdruckstänzerin, biegt und verdreht sich, lebt jeden einzelnen Ton, den Händel komponiert hat. Orchester und Chor suchen den permanenten Blickkontakt mit ihrer Chefin, die keinen Taktstock braucht, weil ihre Musiker direkt auf ihre Körpersprache reagieren.
Keine Sekunde der zweieinhalb Stunden wird langweilig, am Ende stehen Standing Ovations, wie sie in der Philharmonie glücklicherweise noch keine Routine geworden sind. Und der Gedanke, wie grandios es wäre, eine Aufführung dieser Qualität in einer lauen Sommernacht in einer der antiken Stätten Triers zu sehen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Vom erwischt werden
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael BoltonVom erwischt werden
Zum Thema
Aus dem Ressort