Staunen statt Schlagerstadl

Trier · Fünf Akkordeonisten zeigen mit viel Witz und Charme auf dem 9. Internationalen Akkordeonfestival, was man aus dem unterschätzten Instrument herausholen kann.

 Zu Unrecht verschrieen: das Akkordeon. TV-Fotos (2): Katharina Hahn

Zu Unrecht verschrieen: das Akkordeon. TV-Fotos (2): Katharina Hahn

Foto: (g_kultur
Staunen statt Schlagerstadl
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Trier (kha) Man nennt es, je nach Grad der eigenen Abneigung oder Belustigung, auch Schifferklavier, Quetschkommode oder Heimatluftkompressor. Der letztgenannte Begriff verrät es schon: Kaum ein anderes Instrument wird so stark mit schunkelnden Volksmusikanten und bayerischen Heimatfilmen in Verbindung gebracht wie das Akkordeon.
Zu Unrecht, beweist die Akkordeonale, bei der sich zum neunten Mal Akkordeonisten aus aller Welt zu einer multinationalen Musikantencombo zusammentun, um dem angestaubten Image ihres Wahlinstruments gemeinsam den Kampf anzusagen. Im fliegenden Wechsel und unterstützt von dem schottischen Duo "Twelfth Day", bestehend aus einer Harfenistin und einer Geigerin, geben sich die Künstler auf der Bühne die Klinke in die Hand. Mal spielen sie Soli, die ihren eigenen musikalischen Stil untermauern, mal spielen sie alle zusammen und legen einen so feinmaschigen Klangteppich über den großen Saal der Tufa, wie man es von einem Theaterorchester erwarten würde, aber nicht von einer Gruppe Akkordeons.
Rinah Rakotovao aus Madagaskar spielt wuchtig und laut, schafft es mit seinem Gesang aber trotzdem, entspannt exotisches Urlaubsflair zu verbreiten. Alevtina Nikitina hingegen ist an solistischer Virtuosität kaum zu überbieten. Mal drängend schnell, mal langgezogen und abwartend hackt sie mit schwindelerregender Fingerfertigkeit auf ihr Instrument ein und entlockt ihm so unglaubliche Töne. Aus einem Akkordeon werden plötzlich drei, mehrstimmiger Chorgesang wechselt sich ab mit der tief grollenden Melodie einer opulenten Kirchenorgel. Immer wieder begleiten begeisterte Rufe und frenetische Pfiffe die energiegeladenen musikalischen Kapriolen der zierlichen Russin. Der Bayer Stefan Straubinger legt am Bandoneon das Heimatfilm-Klischee schließlich vollständig ad acta, indem er das traditionelle bayerische Volkslied "Springt da Hirsch übern Bach" mit einer selbst komponierten Melodie neu interpretiert. So jammen zum Abschluss alle Musiker noch einmal gemeinsam, singen und jodeln ein Lied, dem man seinen folkloristischen Ursprung kein bisschen anmerkt. Es ist jetzt schneller, moderner, mitreißender. Entsprechend ungefiltert übertragen sich die gute Laune und unbändige Spielfreude der Akkordeonisten und ihrer Begleiterinnen auf das Publikum. Knapp 150 lächelnde Gesichter blicken begeistert in Richtung Bühne der Tufa Trier, man sieht wippende Köpfe und Füße, wohin man schaut und kann eigentlich kaum glauben, dass nicht nur Bass, Schlagzeug und E-Gitarre, sondern auch Schifferklavier, Quetschkommode und Heimatluftkompressor völlig zu Recht derartige Begeisterung erzeugen können.
Alle Musiker im Überblick
Stefan Straubinger aus Deutschland, Alevtina Nikitina aus Russland, Laurent Derache aus Frankreich, Rinah Rakotovao aus Madagaskar, Servais Haanen aus den Niederlanden (auch als Moderator der Veranstaltung tätig) sowie die Band "Twelfth Day" aus Schottland, bestehend aus Catriona Price an der Geige und Esther Swift an der Harfe.

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