Wenn Oden zu Tiraden werden

Trier · Mit seinem neuen Programm "Akademie der Sehnsucht" hat Chansonnier Sebastian Krämer in der Tufa Trier sein inzwischen drittes Gastspiel gegeben. Wieder bescherte er seinen 150 Zuschauern ein Zwerchfell erschütterndes Erlebnis aus Musik, Poesie, Witz, Philosophie und Pathos.

(ae) Nein, Kabarett könnten die Zuschauer von ihm, Sebastian Krämer, nicht erwarten, er singe Chansons. Doch, was sei das überhaupt? Unter schlechten Bedingungen produzierte Popmusik oder die Kunst, das Publikum mit der eigenen Stimme schaumig zu schlagen? Definitionsversuche dieser Art bilden den roten Faden von Krämers neuem Programm, schließlich ist es mit "Akademie" betitelt, was auf einen gewissen Bildungsanspruch hindeutet.

Der Sohn eines Oberstudienrats für Deutsch und Philosophie ist, das zeigt seine sprachliche, intellektuelle und musikalische Gewandtheit, im Kosmos des Bildungsbürgertums zu Hause. Doch gerade diesen führt er gnadenlos vor. Sei es im sprachlich ausgefeilten, bildgewaltigen Prosavortrag über die Einrichtung Volkshochschule, in der verkappten Gelehrten nicht der Absturz in die Halbwelt, wohl aber der in die Halbbildung droht. Oder sei es in Liedern, die mit klassischen Stilmitteln klassische Klischees brechen. So stimmen der Chansonnier auf dem Flügel und sein ihn gut ergänzender Begleiter Matthias Ibach auf dem Cello kammermusikalische Akkorde an, dazu lässt Krämer Lyrik anklingen, wie sie gewöhnlich romantische Liebeslieder einleitet. Doch die Ode an "Herzensbrecherinnen" wird flott zu einer garstigen Tirade über "scharf gemachte Zünder" oder "Shampooflaschen, bombendicht aber nicht gefüllt".

Krämers eigene Erklärung, hier halte sich unverfrorene Poesie schadlos, trifft den Nagel auf den Kopf. Der Witz seiner im Klassik-, Swing-, Boogie- oder Tangogewand verpackten Lieder funktioniert über das stets Unerwartete. Poesie prallt auf Banalität, perfektes Versmaß auf holprige Ungereimtheit, Süßholz auf Bösartigkeit. Die Pointen sind immer unvorhersehbar und originell wie die Liedideen selbst. Die Initialzündung zum Programm selbst hat übrigens eine Zeitungskritik geliefert, die Krämer bescheinigte, nur zehn Minuten zu brauchen, um die Sehnsucht nach Pointen ins Unermessliche zu steigern. Mit seiner Akademie hat er diese Sehnsucht bestens bedient, doch der Sucht nach Mehr neue Nahrung gegeben.

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