Zu Gast beim Erfinder des Kindergartens

Waldersbach/Straßburg · Wer meint, in Waldersbach sagten sich bestenfalls Fuchs und Hase gute Nacht, der täuscht sich gewaltig. In dem Vogesen-Weiler südwestlich von Straßburg dokumentiert ein exzellent konzipiertes Museum die Arbeit eines bedeutenden Pädagogen der Aufklärung: Johann Friedrich Oberlin.

Waldersbach/Straßburg. Die Zeit steht still. Dieser Ort atmet eine einmalige Ruhe und Besinnlichkeit. Und doch ist Waldersbach kein verschlafenes Nest. Der größte Schatz in dem Dorf mit 150 Einwohnern ist eine historische Persönlichkeit: Johann Friedrich (oder Jean-Frédéric) Oberlin. Wer die kleine Dorfkirche erreicht, stößt auf ein Museum. Das erinnert an den Pfarrer und bedeutenden Aufklärer und versetzt dabei den Besucher unmittelbar ins 18. Jahrhundert.
Äußerlich wurde das ehemalige Pfarrhaus nicht verändert. Erst wer das Museum betritt, nimmt wahr, wie geschickt die notwendigen Erweiterungen vorgenommen wurden. Auf drei Etagen dokumentieren höchst unterschiedliche Exponate Leben und Wirken Oberlins. Da überkreuzen sich historische, ästhetische, pädagogische, biologische und geographische Aspekte so faszinierend, wie es wohl nur in der optimistischen und wissbegierigen Aufklärungszeit Ende des 18. Jahrhunderts möglich war.
In Deutschland ist Oberlin vor allem bekannt durch seine Begegnung mit dem Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz. Georg Büchner hat sie in seiner unvollendeten Novelle "Lenz" beschrieben, und in der Vertonung von Wolfgang Rihm Anfang der 1970er Jahre wurde "Lenz" zu einer der meistgespielten modernen Opern. "Aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt", sagt die Museumsführerin energisch. Der Horizont, in dem sich dieser Mann bewegte, sei weitaus größer gewesen.
Oberlin, 1740 in Straßburg geboren und 1826 in Waldersbach gestorben, war mehr als ein versierter Theologe. Schon während seines Theologiestudiums befasste er sich mit Naturkunde und Medizin, nahm nach der philosophischen Promotion bei einem Arzt eine Hauslehrerstelle an.
Schulbesuche durchgesetzt


1767 wurde er Pfarrer in Waldersbach und förderte in dem verarmten Ort und der zugehörigen Grafschaft Steintal (Ban de la Roche) erfolgreich die wirtschaftliche Entwicklung. Oberlin organisierte Genossenschaften und erneuerte den Ackerbau. Dabei setzte er bei der Bildung an. Er engagierte sich im Steintal erfolgreich für den Bau von Schulhäusern, setzte mit hartnäckigen Ermahnungen, aber ohne Zwang, regelmäßigen Schulbesuch durch und etablierte für kleine Mädchen die "Strickschulen"; auch deshalb gilt Oberlin als Erfinder des Kindergartens.
Das Museum ist zweisprachig. Reproduktionen an den Wänden geben Tagebuch-Aufzeichnungen wieder, die lichtempfindlichen Karten und Stiche befinden sich leicht erreichbar in Schubladen. Duftproben verschiedener Kräuter dokumentieren die praktische Botanik des Pfarrers und Miniaturen exotischer Tiere sein zoologisches Interesse. Immer wieder laden Spielklötze oder kleine Apparaturen die jungen Besucher zum Ausprobieren ein; "spielend lernen und lernend spielen" hieß Oberlins pädagogisches Credo. Eine kleine Bibliothek animiert zur Vertiefung des gerade erworbenen Wissens.
Oberlin gehört in Deutschland längst zu den pädagogischen Leitfiguren. Schulen, Kindergärten und Sozialeinrichtungen sind nach ihm benannt. Sie alle bemühen sich, Oberlins Pädagogik mit ihrer Integration von Theorie und Praxis, von Lernen und Spielen, im 21. Jahrhundert umzusetzen.
Aber mittelbar reicht Oberlins Ruf weiter. 1860 gründeten deutsche Missionare im indischen Darjeeling eine Teeplantage, die bis heute besteht. "Steinthal" heißt sie - nach der Grafschaft, in der dieser aufgeklärte Pfarrer lebte und arbeitete. mö
Museum Johann Friedrich Oberlin, 25 montée Oberlin, F-67130 Waldersbach,
<%LINK auto="true" href="http://www.musee-oberlin.eu" class="more" text="www.musee-oberlin.eu"%> , Anfahrt von Straßburg Richtung St. Dié, bei Foudray Abzweig nach Waldersbach.

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