Der Bahnhof und die Setzkartoffeln

Setzkartoffeln waren in den 60er Jahren, als es noch viele Landwirte in der Eifel und an der Mosel gab, eine lebenswichtige Angelegenheit. Teile davon wurden von der Bahn angeliefert. Dabei kam es auch zu Verwechslungen mit den Kartoffelsorten.

Wittlich. Grata, Clivia und Hansa - das waren wohlschmeckende Kartoffelsorten, die von den Landwirten der Region in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gerne angepflanzt wurden. Zudem konnten die Hausfrauen die verschiedenen Kartoffelsorten durch ihren unterschiedlichen Geschmack gut auseinander halten.

Gelegentlich aber haben sich die Landwirte gewundert, warum Grata gepflanzt wurden, aber die geernteten Kartoffeln nach Clivia schmeckten oder umgekehrt. Die Lösung ist am ehemaligen Bahnhof Wittlich in der heutigen Schlossstraße zu suchen. Vom Aussehen her war es nicht immer erkennbar, um welche Kartoffelsorte es sich handelte. Dies wussten auch die Bediensteten im Wittlicher Bahnhof. Dort gingen nämlich zu einer Zeit, als die Bahn noch sehr viele Lebensmittel in ihren Güterwaggons transportierte, im Frühjahr auch die Setzkartoffeln ein. Mehrere hundert Sack Kartoffeln wurden in einem Waggon angeliefert.

"Man musste sich zu helfen wissen"



Die Säcke waren aber nicht mit der Adresse des Landwirtes beschriftet, der die Bestellung aufgegeben hatte, sondern lediglich mit dem Sortennamen. Nur der beigefügte Lieferschein enthielt die Adressen und den Hinweis, welche der verschiedenen Kartoffelsorten bestellt waren. Die Kartoffelsäcke wurden im Güterschuppen gelagert, aber meist nicht in der Reihenfolge der Ausgabe an die herbeigerufenen Landwirte. Diese wurden von den Bahnbeamten telefonisch über den Eingang der Kartoffeln informiert: "De Krombern sein doh" (die Kartoffeln sind da). Sie kamen dann mit dem Traktor, um die Säcke abzuholen. Zwei Tage herrschte geschäftiges Treiben im Güterschuppen.

Üblicherweise klappte die richtige Ausgabe der Kartoffelsäcke. Gelegentlich aber kam es vor, dass im Eifer des Gefechts aus Versehen Clivia statt Hansa ausgeliefert wurden - und niemandem fiel es auf. Aber je mehr Kartoffeln ausgegeben waren und der Restbestand zur Neige ging, waren zwar noch Lieferzettel für eine bestimmte Sorte vorhanden, aber diese Sorte im Lager ausgegangen. "Dann wurden die Kartoffeln einfach umgetauft", wie aus Erzählungen eines heutigen Bahnpensionärs hervorgeht.

Rein "zufälligerweise" fielen dann die Zettel auf den Säcken mit dem Namen der Kartoffelsorte ab und wurden durch ebenfalls "rein zufällig" noch vorhandene Zettel mit dem Namen der bestellten Sorte getauscht. "Man musste sich zu helfen wissen", ist aus Bahnkreisen zu hören, "denn den Kartoffeln hat man die Sorte nicht angesehen."

Jetzt ist auch klar, warum sich die Landwirte und Hausfrauen gelegentlich gewundert haben, warum die Clivia anders schmeckten als im Jahr zuvor und warum die Grata plötzlich wie eine Hansa schmeckte.

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