GLAUBE IM ALLTAG

Zurzeit ist in Rio de Janeiro Brasilien der katholische Weltjugendtag. Im Jahr 2005 war die Veranstaltung, die alle drei Jahre stattfindet, in Köln.

Auch ins Dekanat Wittlich kamen deshalb junge Leute aus aller Welt und wohnten für kurze Zeit bei Gastfamilien. Die Begegnung mit dem Franzosen Luc, der bei unserer Familie wohnte, ließ mich folgende Begebenheit aufschreiben: Winter 1944/45. Irgendwo in Frankreich. Zwölf deutsche Kriegsgefangene in einer Baracke, Kälte und wahnsinniger Hunger. Sie beschließen, dass der Jüngste das Lager verlassen soll, um etwas Essbares aufzutreiben. Sicher ist: Wen man bei einem Fluchtversuch erwischt, wird erschossen. Andererseits haben die Männer den Hungertod vor Augen. In der Dämmerung überwindet der junge deutsche Soldat unbemerkt den Stacheldraht. Er erreicht einen Bauernhof und klopft mit dem Mut der Verzweiflung an. Die Familie isst gerade zu Abend und sieht den Deutschen ängstlich an. Man bittet ihn herein - und nach Wochen des Hungers darf er sich satt essen. Mit Händen und Füßen berichtet der Soldat von seinen hungernden Kameraden. Auf einmal verläßt der Bauer die Küche. "Wird er die Gendarmerie verständigen?" Doch es kommt ganz anders. Er bringt einen Sack mit frischem Brot. Dieses Brot bringt den ausgemergelten Männern die Hoffnung zurück. Mehrmals wiederholt der junge Deutsche seine gefährliche Tour und sichert den 12 Gefangenen damit das Überleben. Dieser Soldat war mein Vater, der Schwiegervater meiner Frau, der Opa unserer Kinder. Nach 60 Jahren wohnt ein junger Franzose ein paar Tage bei uns, bevor er zum WJT nach Köln fährt. Wir können uns nur schwer verständigen, aber beim gemeinsamen Musizieren und Essen wird die Sprache nebensächlich. Luc greift ordentlich zu und ist sichtlich gerne bei uns. Er würde nicht bei uns sitzen, wenn diese Bauernfamilie irgendwo in Frankreich diesen Deutschen, die in ihr Land eingedrungen sind und hunderttausendfach gemordet haben, nicht das Brot zum Überleben gegeben hätte. Hans-Peter Schäfer, Greimerath

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