Medizin In Luxemburg ist Hilfe beim Sterben erlaubt

Trier · Ärzte in der Region beschäftigen sich mit einem sensiblen und umstrittenen Thema. Ein Freiburger Ethiker mahnt Mediziner, Leiden zu bekämpfen, nicht aber die Leidenden zu vernichten.

 Krankenschwestern betreuen auf der Intensivstation einer Klinik einen Patienten. Während aktive Sterbehilfe in Deutschland verboten ist, stellt sich im benachbarten Großherzogtum die Rechtslage anders dar.

Krankenschwestern betreuen auf der Intensivstation einer Klinik einen Patienten. Während aktive Sterbehilfe in Deutschland verboten ist, stellt sich im benachbarten Großherzogtum die Rechtslage anders dar.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Maurice Graf erzählt ruhig, emotionslos. Dabei ist das, was der luxemburgische Mediziner sagt, für seine deutschen Kollegen schwer nachzuvollziehen. Graf ist Palliativmediziner. Er hilft schwerkranken, dem Tode geweihten Patienten, ein noch möglichst schmerzfreies Leben bis zur ihrem Ende zu leben. Und er hilft solchen Menschen, wenn sie das ausdrücklich wollen, zu sterben. Graf leistet aktive Sterbehilfe. Seit 2009 ist diese in Luxemburg erlaubt.

Eine Patientin, die er im vergangenen Jahr aktiv in den Tod begleitet hat, war eine 75-jährige ehemalige Stewardess. Mit 48 war sie an Brustkrebs erkrankt. Trotz Behandlung kam der Krebs immer wieder zurück, irgendwann war auch ihr Hirn befallen. „Es hat null Hoffnung auf Heilung bestanden“, sagt Graf vor Ärzten bei einem Seminar in der Bezirksärztekammer in Trier.

Seit 2017, nachdem der Hausarzt der Frau ihn wegen ihres Wunschs nach aktiver Sterbehilfe hinzugezogen hatte, die im Nachbarland Euthanasie genannt wird, betreute er die Patientin. Zunächst half er ihr, die Schmerzen, die der Krebs verursachte, zu lindern. Doch sie habe schon früh deutlich gemacht, dass sie sterben wolle. Im April vergangenen Jahres habe sie ihm gesagt, dass sie nun bereit sei, erzählt der Luxemburger Mediziner. Sie habe aber noch einmal erleben wollen, wie die Kirschbäume  in ihrem schönen Garten blühen. Ihren Todestag habe sie auf den 30. April festgelegt. Nachdem medizinisch bestätigt war, dass bei ihr keine Aussicht auf Besserung bestanden habe, sei es möglich gewesen, dass er ihr an dem von ihr gewünschten Tag bei ihr zu Hause die tödliche Infusion verabreichte. Bei ihrem Tod seien ihr Mann und drei befreundete Paare anwesend gewesen.

Das Gesetz in Luxemburg legt strenge Maßstäbe an die Sterbehilfe an. Der Arzt muss zuvor mehrere Gespräche mit dem Patienten führen, der sich in einer medizinisch „ausweglosen Lage“ befinden muss. „Sterbehilfe“, so heißt es in den Informationen in Luxemburg, „wird im Sinne des Gesetzes als medizinische Maßnahme definiert, mit der ein Arzt dem Leben einer anderen Person auf deren ausdrückliche und freiwillige Bitte hin absichtlich ein Ende setzt.“ Diese Bitte muss von dem Patienten schriftlich hinterlegt und eigenhändig unterschrieben werden. Er kann diese Bitte auch jederzeit widerrufen.

Es gibt in Luxemburg auch die Möglichkeit, vorzeitig eine „Verfügung zum Lebensende“ zu formulieren. Laut dem gerade vorgelegten Bericht über Sterbehilfe in Luxemburg haben in den Jahren 2017 und 2018 insgesamt 619 Personen im Großherzogtum eine solche Verfügung unterschrieben. Drei dieser Menschen  stammen aus dem Ausland. Denn auch jemand, der nicht in Luxemburg lebt, aber dort bei einem Arzt in Behandlung ist, kann eine solche Verfügung zum Lebensende treffen.

Als Graf über den Fall und die gesetzlichen Vorgaben in Luxemburg spricht, ist es ruhig im Vortragsraum der Trierer Ärztekammer. Lorenz Fischer hat den Kollegen aus dem Nachbarland eingeladen, um zu zeigen, wie dort mit dem sensiblen Thema umgegangen wird. Ein Thema, mit dem auch Fischer regelmäßig konfrontiert ist. Er ist Chefarzt der Palliativmedizin im Trierer Mutterhaus. Auf der Station hat er täglich mit Menschen zu tun, die unheilbar krank sind und kurz vor ihrem Lebensende stehen.

Jeder zweite Patient auf solchen Stationen habe den Wunsch zu sterben, sagt Fischer. In einer Woche habe er drei Patienten gehabt, die nach Tötung auf Verlangen, also aktiver Sterbehilfe, gefragt hätten. Anders als in Luxemburg ist diese in Deutschland verboten. Passive Sterbehilfe, wenn Mediziner also auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten die lebenserhaltende Therapie abbrechen, ist erlaubt. Fischer erzählt das Beispiel einer 80-jährigen Patientin, die verschiedene Krankheiten hatte, nach einem Sturz nicht mehr richtig auf die Beine gekommen ist und eine schwere Entzündung bekam. Eine Operation hätte vielleicht die akuten Symptome und Schmerzen lindern können, eine wirkliche Heilung hätte sie vermutlich nicht gebracht. Die Frau, die eine Patientenverfügung gehabt habe, und ihre Angehörigen hätten einen solchen Eingriff abgelehnt. Sie sei daraufhin auf die Palliativstation gekommen. Medikamente habe sie in Absprache mit ihren Angehörigen nicht mehr bekommen. Einen Tag später sei sie „ohne erkennbaren Leidensdruck“ verstorben, sagt Fischer.

Der Freiburger Ethik-Professor Giovanni Maio steht dem Thema Suizid und Sterbehilfe sehr kritisch gegenüber. Zwar sieht er im Beenden der Beatmung eines unheilbar Kranken auf dessen ausdrücklichen Wunsch oder die Weigerung der Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme nicht als aktive Sterbehilfe an. Aber solche Fälle dürften nicht zur Regel werden. Die Medizin müsse den Menschen in allen Lebenslagen zeigen, dass sie noch eine Bedeutung und eine Würde hätten. Sie müsse den Menschen helfen und nicht deren Existenz vernichten, lauten die deutlichen Worte des Direktors des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg.

Worte, die die anwesenden Ärzte zum Nachdenken bringen.

Wenn ein Patient sage, er leide unter seiner Situation, er wolle lieber sterben als weiterzuleben, dürfe ein Arzt nicht sein aktiver Sterbebegleiter werden, sagt Maio. Vielmehr müsse der Arzt dem Patienten helfen, sich ihm zuwenden, die Gründe erfragen, damit er mit der Situation klarkomme. „Das Leid muss bekämpft werden, aber nicht der Leidende darf vernichtet werden“, sagt Maio.

Die Medizin müsse auch diesen Patienten Perspektiven aufzeigen, sie müsse ihnen helfen, auch mit einer eingeschränkten Autonomie oder Bettlägerigkeit umzugehen. Auch dann verlören die Menschen nicht ihre Bedeutung und Würde.

„Was ist das für eine Vorstellung von Pflegebedürftigkeit, wenn Menschen sagen, dass sie nicht in einem Pflegeheim enden wollen?“ Auch könne es nicht sein, dass Menschen sagen, bevor sie jemandem zur Last fallen, möchten sie lieber sterben. Er fordert dazu auf, deutlich mehr in Pflege zu investieren. „Wir dürfen keine Angst davor haben, gepflegt zu werden.“

Auch wenn die meisten der an diesem Nachmittag anwesenden Ärzte Maio in diesem Punkt zustimmten, so stoßen seine Aussagen über das angebliche „Vernichten von Leidenden durch Sterbehilfe“ bei einigen der Mediziner doch auf Widerspruch. Wie sensibel und umstritten das Thema auch bei den Ärzten in der Region ist, zeigt sich darin, dass zwei Referenten, die an diesem Tag rechtliche und moralische Aspekte der Sterbehilfe beleuchten, nach eigenen Aussagen im Vorfeld mehrere E-Mails bekommen haben, in denen versucht worden sei, sie zu beeinflussen.

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