Eine, die nicht wegschauen kann

TRIER. Seit zwei Jahrzehnten verbindet sich das Thema Kinderschutz in Trier mit dem Namen Elke Boné-Leis. Die 62-Jährige hat die erfreulichen und die schrecklichen Facetten der Hilfe für vernachlässigte oder bedrohte Kinder so nahe erlebt wie kaum jemand anders.

Wer mit den engagierten Mitarbeitern des Kinderschutzbundes redet, trifft immer wieder auf das gleiche Phänomen: Da, wo es wirklich schlimm wird, wo Einzelschicksale aufs Tapet kommen, von denen man nie und nimmer glaubte, dass sie sich in unserer eigenen Umgebung abspielen könnten, da werden sie schweigsam. Fast so, als wollten sie nicht, dass die Menschen allzu genau erfahren, was hinter verschlossenen Türen alles passiert. Und wohl auch, um ihre Schützlinge vor dem voyeuristischen Blick der Öffentlichkeit zu schützen.Elke Boné-Leis ist da anders. Vielleicht, weil sie als Kind selbst Missbrauchs-Erfahrungen machen musste. Vielleicht aber auch, weil sie die weit verbreitete "Das mag es zwar geben, aber doch nicht bei uns"-Attitüde nicht mehr erträgt.

Seit Mitte der 80er Jahre ist die kürzlich in Ruhestand gegangene Universitäts-Angestellte ehrenamtlich beim Kinderschutzbund engagiert. Als sie anfing, hatte der KSB, wie sie sich erinnert, "das Image eines Vereins alter Mütterchen". Vorstandsarbeit, Sponsorensuche, Zuschussverhandlungen, Existenzsicherungskämpfe: Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass Elke Boné-Leis oft diejenige war, die als "personifizierter Kinderschutzbund" im äußersten Notfall zu Hilfe gerufen wurde - vor allem nachts und am Wochenende.

Was sie da erlebt hat, reicht, um alle Illusionen von einer heilen Welt im lauschigen Moseltal zu zerstören. Elke Boné-Leis hat all die Fälle noch parat, die Namen, die Orte, die Geschichten. Wie die von dem neunjährigen Mädchen aus Kordel, das von der Nachbarin im Kofferraum des Autos vom Gehöft geschmuggelt werden musste, um sie dem jahrelangen Missbrauch durch den eigenen Vater zu entziehen.

Differenzierte Sicht auf die Täter

Oder von den drei Kleinkindern, die sie - gemeinsam mit ihrer langjährigen Mitstreiterin Elisabeth Remmy - aus einer völlig verwahrlosten Wohnung in Konz-Karthaus holte, während die Eltern auf Sauftour waren. Den Säugling der Familie fanden sie zunächst nicht, bis der fünfjährige Sohn sie auf ein Bündel aufmerksam machte, dass in einer verschimmelten Küche unter der Anrichte lag, bedeckt mit Schmutzwäsche und Müll.

Das sei "nicht der Normalbetrieb", schränkt Boné-Leis ein, "Gott sei Dank". Aber eben auch keine Erfindung sensationslüsterner Übertreiber. So wenig wie die misshandelte 14-Jährige vom Weidengraben, die bei ihr anrief und flehte: "Wenn sie mir nicht helfen, dann springe ich von der nächsten Brücke". Oder der Neunjährige aus Vierherrenborn, der mit seiner kleinen Schwester an der Hand aus einer verwahrlosten Wohnung floh und von einem Angler aufgefunden wurde. Oder das unterernährte Baby in der Trierer Saarstraße, das sie, nur noch leise wimmernd, ins Mutterhaus brachten. "Ein paar Stunden später, und es wäre zu spät gewesen", hatte der behandelnde Arzt festgestellt. Es war in diesem Fall die Mutter, die beim Kinderschutzbund angerufen hatte, unfähig, noch selbst zu agieren.

Angesichts solcher Fälle ist es erstaunlich, wie differenziert Elke Boné-Leis auch über die Täter spricht. Keine blinde Wut, kein abgrundtiefer Hass. Das hat sie von den Kindern gelernt. "Die wollen, dass der Missbrauch und die Misshandlung aufhören, aber die wollen meistens nicht, dass ihr Vater oder ihre Mutter ins Gefängnis kommen". Entscheidend sei, den Willen der Kinder zu respektieren, denn "wir können das Problem nur mit ihnen lösen und nicht gegen sie". Eine Erkenntnis, die auch aus schmerzhaften Erfahrungen stammt. Bei einem ihrer ersten Einsätze kam ein Mädchen von sich aus zum KSB, weil es von seinem Vater sexuell missbraucht wurde. "Wir sind dann gleich los gestürmt zu der Familie und haben den Mann zur Rede gestellt". Das Kind nahm seine Anschuldigungen zurück, die Kinderschützer mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Erst fünf Jahre später kam die Wahrheit an den Tag.

"Da stößt man an persönliche Grenzen", sagt Boné-Leis, deshalb sei "Supervision und Betreuung der Helfer wichtig". Aber man müsse "diese Konflikte auch aushalten", dürfe "den Bezug zum Leid nicht verlieren, ohne in Mitleid zu zerfließen".

Aus "ihrem" Kinderschutzbund ist inzwischen eine Einrichtung mit vielfältigen Angeboten geworden. Elke Boné-Leis hofft, dass die Arbeit auch gesellschaftlich so anerkannt wird, wie sie es verdient. Und dass mit der "Burg" auch die Rahmenbedingungen deutlich verbessert werden können.

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