„Ich bin der Normale“

Trier · Der künftige Intendant des Trierer Theaters, Manfred Langner, zieht Fußballvergleiche, betont den Team-Gedanken und freut sich im Urlaub auf den „schönsten Arbeitsplatz der Welt“.

 Manfred Langner, neuer Intendant des Theaters Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Manfred Langner, neuer Intendant des Theaters Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Foto: Friedemann Vetter

Manfred Langner, Triers Theaterintendant ab der Spielzeit 2018/19, scheint ein unkomplizierter Mensch zu sein. Zwischen dem Vorstellungstermin in Trier vorige Woche (der TV berichtete), seinem vollgepackten Alltag als Intendant der Stuttgarter Schauspielbühnen, einem Arbeitstreffen in Nizza und kurz vorm Urlaub mit der Ehefrau, findet er die Zeit für ein Interview mit TV-Redakteurin Christiane Wolff. Beim Gespräch am späten Vormittag entschuldigt er sich dafür, "ab und zu mal in ein Brot reinzubeißen"; er habe sonst noch keine Zeit gehabt, etwas zu essen. Ganz ehrlich: Als Sie das erste Mal beim Trierer Theater hinter die Kulissen geschaut haben, was war Ihr erste Gedanke: Oh je oder Hurra?Manfred Langner: (lacht) Wie meinen Sie das?
Da gäbe es viel aufzulisten: Mitarbeiterstimmung, Räumlichkeiten, Sanierungszustand, Finanzen ...Langner: Ja, es gibt tatsächlich allerhand zu tun. Ich habe auch nicht mit einer gemähten Wiese gerechnet, ich hatte mich ja vorher informiert. Aber ich freue mich auf Trier! Ich bin positiv gestimmt, trotz der vielen Probleme, die es hier gab und gibt. Und wenn ich nicht glauben würde, dass diese Dinge zu bewältigen wären, hätte ich mich nicht um die Intendanz beworben.
Hatten oder haben Sie eigentlich Verbindungen nach Trier oder zum hiesigen Theater, kennen Sie Künstler oder Mitarbeiter, oder haben Sie sich ihr Wissen über das, was hier in den vergangenen zwei Jahren passiert ist, angelesen?Langner: Ich war schon oft in Trier, aber offengestanden bis vor Kurzem noch nie im Trierer Theater. Aber die Thematik Sibelius ging ja durch die Presse, das hat mich natürlich interessiert - und auch verärgert. Denn eine solche Situation darf an einem Theater nicht entstehen, so darf mit einem Theater nicht umgegangen werden. Als ich dann hörte, die Intendanz wird ausgeschrieben, wollte ich die Herausforderung annehmen.
Aber Sie kommen nicht aus Selbstlosigkeit?Langner: Nein, die Aufgabe reizt mich tatsächlich! Auch wenn es seltsam erscheinen mag: Ich habe Interesse und Spaß daran, Dinge wieder auf die Reihe zu bringen.
Sie haben viel Erfahrung als Intendant, sind gelernter Finanzbeamter, nach Gesprächen mit Leuten aus der Stuttgarter Kunstszene und nach dem ersten persönlichen Eindruck, scheinen Sie das ziemliche Gegenteil unseres Ex-Intendanten Karl Sibelius zu sein …Langner: Ich kenne Sibelius persönlich nicht und kann mir kein Urteil erlauben. Aber ein bekannter deutscher Fußballtrainer hat mal bei seiner Vorstellung in Liverpool gesagt: "I'm the normal one." ("Ich bin der Normale.") - und ich denke, das kann man auch über mich sagen. Mir ist es wichtig, dass man sich mit dem Geschehen auf der Bühne beschäftigt und nicht mit mir. Und ich werde auch sicher nicht mein Porträt auf die Außenwand des Theaters malen lassen …
Wenig Erfahrung bringen Sie allerdings in Sachen Musiktheater mit. Wie wollen Sie da die hohe Qualität am Trierer Haus sichern?Langner: Ich bin tatsächlich ein Schauspielmann, zwar habe ich auch Musicals gemacht, aber Musicals produziere ich auch gerne spartenübergreifend mit sehr guten Schauspielern, Sängern und Tänzern. Deshalb werde ich in Trier Leute haben und dorthin mitbringen, die sich mit Musiktheater exzellent auskennen und viel Erfahrung haben. Der neue Generalmusikdirektor Jochem Hochstenbach ist schonmal einer davon - jung, lebendig, aber trotzdem sehr erfahren. Und natürlich werde ich mich auch selbst intensiv einbringen.
Können Sie schon verraten, wen Sie da nach Trier holen wollen?Langner: Nein, das geht leider nicht. Die Gespräche sind zwar schon weit gediehen, aber es gibt noch offene Details. Es wird allerdings jemand sein, der sich speziell mit Oper beschäftigen wird.
Halten Sie die Sparte Ballett so, wie sie zurzeit am Theater geführt wird, für zukunftsfähig, mit einer Spartenleiterin, einer Company-Managerin, einem eigenen Ensemble und drei - teils ziemlich mager ausgelasteten - Produktionen pro Spielzeit?Langner: Tanztheater muss es in Trier geben, das steht für mich fest. Aber auch diese Sache werde ich mir ganz genau ansehen, ich habe da durchaus Ideen für andere Akzente. Ich bin sehr für die Arbeit über Spartengrenzen hinweg und definitiv kein Freund davon, wenn sich eine Tanz-Company - oder irgendeine andere Gruppe - innerhalb eines Hauses isoliert. Ich werde mich sicherlich auch bald mit der Leitung der Tanz-Sparte zu einem Gespräch zusammensetzen.
Ein wichtiges Anliegen Ihres Vorgängers Sibelius war der Ausbau der Kinder- und Jugendsparte. Welche Ideen haben Sie dafür?Langner: Ich habe mir die Premiere der Kinderoper Brundibár angesehen und war von den jungen Darstellern begeistert! Trier hat da einen sehr gut geführten Kinder- und Jugendchor, den es auf jeden Fall so weiter geben soll. Insgesamt will ich das Programm für Kinder und Jugendliche ausweiten, insbesondere eine Stärkung der Theaterpädagogik kann ich mir gut vorstellen - sofern wir dafür Geld loseisen können. Wie viel da schon in der ersten Spielzeit möglich sein wird, müssen wir sehen, aber die Sache liegt mir definitiv am Herzen.
Auch das Bürgertheater ist in den vergangenen zwei Jahren stark ausgebaut worden. Laienschauspieler stemmen mittlerweile - kostengünstig - einen beachtlichen Teil des Spielplans. Bleibt das so?Langner: Ich finde, das Hauptanliegen von Bürgertheater ist, die Akteure an die Kunst, ans Theater heranzuführen und ihnen kreatives Arbeiten und die Entdeckung ihres Potenzials zu ermöglichen. Das Ergebnis ist erst in zweiter Linie wichtig. Im Spielplan kann Bürgertheater daher auch nur eine Farbe kein, kein Ersatz fürs Profitheater und für ausgebildete Schauspieler.
In Stuttgart sind die Besucherzahlen unter Ihrer Intendanz beachtlich gestiegen, die Auslastung ist sehr gut. Sie kommen mit gut 20 Euro öffentlichem Zuschuss pro Platz aus. In Trier liegt diese Kennzahl bei mehr etwa 170 Euro. Nun sind Musik- und Tanztheater teurer als Schauspiel - aber ist das der einzige Unterschied?Langner: Da darf man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen! Die großen, teuren Kollektive wie Orchester und Chor tauchen in unserer Rechnung in Stuttgart ja gar nicht auf, weil wir sie nicht haben. Trotzdem müssen wir eine Verbesserung in Trier hinbekommen, durch mehr Besucher und mehr Einnahmen.
Wie wollen Sie die Zuschauerzahlen steigern?Langner: Wir müssen den Menschen in Trier und Umgebung deutlich machen, dass es hier ein Theater gibt, das für sie da ist, das eine Bereicherung ist, das dazugehört zum Leben.
Was wäre denn eine gute Gästebilanz?Langner: die knapp 70?000 der letzten Spielzeit sind für ein Drei-Sparten-Haus definitiv zu wenig. Bei so geringen Besucherzahlen verliert das Theater seine Daseinsberechtigung. Das geht nicht. Ich will keine fixe Zahl festlegen. Aber bei den Stuttgarter Schauspielbühnen haben wir knapp 200?000 Zuschauer pro Spielzeit, die Hälfte davon sollten es auch in Trier sein.
"Theater fürs Publikum" scheint so etwas wie ihr Slogan zu sein. Aber hat die Kunst nicht höhere Aufgaben, als publikumskompatibel zu sein?Langner: Sehen Sie, das ist das Missverständnis! Theater für Zuschauer heißt nicht, dass es darum geht, die Sitzplatzreihen zu füllen. Aber ohne Zuschauer macht alles Theater keinen Sinn! Wenn man die tollsten Dinge auf der Bühne macht, aber keiner schaut zu, erfüllt die Kunst einen bloßen Selbstzweck. Um die Leute zu erreichen, müssen wir gute Geschichten unterhaltsam erzählen - und dabei natürlich politisch sein, aktuell, provozierend, zum Denken anregend! Nur so wird Theater zu einem Forum für die Gesellschaft. Ein Erfolgsrezept - zweimal das weiße Rössel, einmal die lustige Witwe und dazu noch ein Schwank - gibt es dafür übrigens nicht. Es darf kein bloß leichtes, sondern es muss ein ausgewogenes, anspruchsvolles, vielfältiges Programm sein, mit dem wir die Leute locken und zum Theaterbesuch verführen werden. Die Trierer sollen sich in ihrem Theater wieder zu Hause fühlen.
Kommen für Sie auch Kooperationen in Frage, etwa mit den Theatern in Saarbrücken, Koblenz oder auch der Luxemburger Philharmonie?Langner: Wenn Co-Produktionen künstlerisch interessant sind und wirtschaftlich vernünftig, dann bin ich ein großer Freund davon. Kooperationen, die künstlerisch keinen Reiz haben oder die so teuer sind, dass sie sich nicht lohnen, wird es nicht geben. Aber ich werde mich natürlich mit den Kollegen in Saarbrücken, Koblenz, Kaiserslautern und Luxemburg zusammensetzen, um auszuloten, was machbar ist. Insbesondere im Musiktheater gibt da große, auch internationale Möglichkeiten!
Wie siehts denn aus mit dem Mosel Musikfestival?Langner: Hermann Lewen habe ich bei der Premiere der Oper Idomeneo in Trier kennengelernt, und natürlich möchte ich auch mit Tobias Scharfenberger darüber sprechen, ob und was wir gemeinsam machen können oder nicht. Aber das Mosel Musikfestival findet halt nunmal im Sommer statt - wenn das Theater Urlaub hat. Ich bin allerdings definitiv neugierig und offen für alles!
Welche Ideen haben Sie für die Sanierung des Trierer Theaters? Lieber Neubau oder lieber Umbau im Bestand?Langner: Weil beim Bau des Trierer Theaters in den 1960ern der geplante zweite Bauabschnitt nie realisiert wurde, musste am Augustinerhof schon immer improvisiert werden - bis heute. Das schlägt sich auf die Abeitsbedingungen und sicher auch auf die Motivation der Mitarbeiter nieder, daher müssen wir definitiv schnell aktiv werden und uns mit Fachleuten und Politikern zusammensetzen. Seitens des Theaters werden wir darauf drängen, dass das möglichst bald passiert. Als Lösung ist mir ist das am liebsten, was sinnvoll und wirtschaftlich ist - auch hinsichtlich der Folgekosten. Nachdem, was ich bis jetzt gehört habe, ist ein Neubau wohl nicht finanzierbar. Dazu kommt, dass ein Neubau immer unerwartete Risiken birgt, bei denen man dann vielleicht sagt: Oje, hätten wir das doch bloß nie gemacht.
Braucht Trier denn eine Kammerspielbühne? Da war ja ein eigener Neubau für angedacht …Langner: Tatsächlich fehlt eine kleine Bühne, etwa für 250 bis 300 Zuschauer. Da geht es nicht um den Luxus, einen Raum mehr zu haben. Bestimmte Schauspiele, aber auch manche Kammeroper und Ballettstücke, funktionieren auf einer zu großen Bühne nicht, weil keine Nähe, keine Intimität zum Zuschauer oder Zuhörer entstehen kann. Manche Stücke kann man auf der großen Bühne des Trierer Hauses schlichtweg nicht aufführen. Schon allein aus künstlerischen Gründen brauchen wir daher eine Kammerspielbühne. Die aber auch wirtschaftlich Sinn machen würde! Denn das Trierer Theater hat keine Probebühne mit Originalmaßen. Deshalb muss sehr viel auf der Bühne im großen Haus geprobt werden. Das bedeutet viel Aufwand durch Umbauten, die die technische Mannschaft viele Arbeitsstunden kosten. Eine zweite Bühne würde diese Betriebsabläufe entzerren. Bei Neubau oder Sanierung sollte daher unbedingt der Bau einer Kammerspielbühne eingeplant werden, alles andere wäre unsinnig. Auch für die Jahre bis dahin ist es definitiv sinnvoll, eine solche kleine Bühne irgendwo in einem bestehenden Gebäude einzurichten. Darüber bin ich auch schon im Gespräch mit Kulturdezernent Thomas Schmitt und Oberbürgermeister Wolfram Leibe.
Sie haben angekündigt, dass es eine spezielle Produktion geben soll zum Karl-Marx-Jahr 2018. Können Sie da schon konkretes sagen?Langner: Es wird ein Schauspiel sein, das ein renommierter Autor schreiben und das in Trier uraufgeführt wird.
Ist das Stück denn schon in Auftrag gegeben?Langner: Förmlich noch nicht, aber ich kenne den Autor, wir haben schon konkret über das Projekt gesprochen und im August den nächsten fixen Gesprächstermin, bei dem es dann um Details gehen wird. Die Arbeit an dem Stück hat allerdings längst begonnen.
Wird es ein biografisches Stück?Langner: Wenn wir das historische Leben von Karl Marx auf die Bühne bringen würden, wäre das vielleicht ganz nett - aber künstlerisch relativ belanglos. Viel wichtiger ist die Frage, welche Bedeutung Marx heute für uns hat. Aber natürlich wird das Stück historische Bezüge haben! Doch das Ziel ist - wie immer - den Menschen etwas über die heutige Zeit zu erzählen.
Wird es denn in dem Stück dann überhaupt die Rolle "Karl Marx" geben?Langner: Ich habe das mit dem Autor noch nicht definitiv besprochen, aber ich denke schon, ja.
Zum Schluss eine eher erholsame Frage: Verraten Sie unseren Lesern, wohin es nächste Woche in die Ferien geht?Langner: Kein Problem: Meine Frau und ich machen seit Jahren auf Korsika Urlaub, immer in dem gleichen Haus. Es gibt eine wunderschöne, große Terrasse mit Blick aufs Meer. Und auf dieser steht ein Tisch, und auf diesem mein Laptop - und so wird es der schönste Arbeitsplatz der Welt sein. Christiane Wolff Zur Person:Manfred Langner wurde 1958 in Wiesbaden geboren und ist seit 2009 Intendant des Bühnenverbands "Schauspielbühnen in Stuttgart". Unter mehr als 40 Bewerbern um die Intendanz am Theater Trier hat er sich in den vergangenen Monaten in einem längeren Auswahlverfahren durchgesetzt. Langner ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

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