"Wir waren ganz normale Nachbarn!"

Gekommen waren elf Zeitzeugen, um bei einem Treffen in der Schweicher Synagoge von Ihren Erinnerungen zu erzählen. Erinnerungen an das Zusammenleben und "die ganz normale Nachbarschaft" mit jüdischen Mitbürgern in der Zeit vor dem Krieg.

 Im Mittelpunkt des Abends: die Erinnerungen und Erzählungen der Schweicher und Isseler Zeitzeugen. Sie haben die Namen der 20 jüdischen Familien, die Ende der 30er Jahre noch in Schweich lebten, nie vergessen. TV-Foto: Sandra Blass-Naisar

Im Mittelpunkt des Abends: die Erinnerungen und Erzählungen der Schweicher und Isseler Zeitzeugen. Sie haben die Namen der 20 jüdischen Familien, die Ende der 30er Jahre noch in Schweich lebten, nie vergessen. TV-Foto: Sandra Blass-Naisar

Schweich. (sbn) Das Treffen war der Auftakt zu einer Veranstaltungsreihe, in der kommunale und kirchliche Einrichtungen beider Konfessionen sowie die jüdische Kultusgemeinde in Trier ebenso vertreten sind wie Personen und Gruppen, die sich im jüdisch-christlichen Dialog engagieren. "Wir möchten in der Synagoge eine Dauerausstellung einrichten, und wir suchen den Dialog in Sachen ‚erlebte Geschichte' zwischen Alt und Jung", bringt es Dechant Berthold Fochs bei der Begrüßung auf den Punkt. Hochinteressant ist der kurze Streifzug des Geschäftsführers des Emil-Frank-Instituts in Wittlich, Rene Richtscheid, durch das jüdische Leben in Stadt und Verbandsgemeinde, das zurückgeht auf ein Pergamentpapier aus dem Jahre 1339. Es ist eine Art Insolvenzantrag des Ritters Hartrad von Schönecken an Erzbischof Balduin. Der Adelige muss die Dörfer Schweich, Mehring und Longen an zwei Juden abgeben, bei denen er Schulden hatte. 1650 vermerkt eine Urkunde den Umzug des ersten Juden von Schweich nach Trier.

Erinnerungen an die Reichspogromnacht



Die Französische Revolution hebt alle Beschränkungen auf. Ende des 19. Jahrhunderts ist die jüdische Gemeinde in Schweich auf 100 Mitglieder angewachsen, unterhält eine Synagoge und Schule. 1896 wird der erste Lehrer eingestellt, der auch gleichzeitig für die Gottesdienste und fürs Schächten zuständig ist.

Spannend wird's, als die Zeitzeugen zu erzählen beginnen. Im Fokus steht immer wieder die Reichspogromnacht vom 9. November 1938. "Wir wurden wach in jener Nacht, weil es draußen so laut gerappelt und gescheppert hat. Unseren Nachbarn, einer jüdischen Familie, hat man das ganze Mobiliar auf die Straße geworfen und alles zertrümmert", erzählt eine Schweicherin, damals sieben Jahre alt. "Ja, es war so schrecklich" ergänzt eine andere. "Bei uns in Issel in der St. Georg-Straße lebte die Familie Jakobs. Die hatten zwei Jungs und zwei Mädchen. Der Vater war Viehhändler. Als die Nazis an die Macht kamen, durften sie nicht mehr einkaufen. Wir haben ihnen nachts über zwei Gartenzäune hinweg Essen gebracht."

In einem Punkt decken sich die Erzählungen: Bevor die Nazis den Hass säten und Lehrer ihre Schüler mit erhobenem Finger warnten, "da nicht mehr hinzugehen", pflegte man eine ganz normale Nachbarschaft, schätzte viele der Familien, "die so fromm und vornehm" waren. Und doch überrollte die menschenverachtende Nazi-Propaganda auch in dörflich beschaulichem Umfeld mit intaktem Zusammenleben eine Gemeinschaft, die brutal auseinandergerissen wurde und die aus Nachbarn Mörder machte.

Viele der Schweicher Juden emigrierten nach Argentinien und Amerika. Heute leben keine Juden mehr in Schweich.

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