Trotz Aufschwungs arm dran

Berlin · Die Gewerkschaften machen Front gegen die immer stärker um sich greifende Leiharbeit. Man könne "nicht tatenlos zusehen, wie Arbeiter zweiter Klasse geschaffen werden", sagte DGB-Chef Michael Sommer anlässlich eines bundesweiten Aktionstages seiner Organisation gestern in Berlin.

Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) ist die Job-Unsicherheit in der Zeitarbeitsbranche trotz wirtschaftlichen Aufschwungs besonders stark ausgeprägt. Zugleich drohen immer mehr Stammbeschäftigte durch Leiharbeiter verdrängt zu werden.

Wie aus den Daten des DGB hervorgeht, sind in Deutschland mittlerweile rund 923 000 Personen als Leiharbeiter tätig. Die höchsten Zuwächse verzeichneten Baden-Württemberg, Bayern und das Saarland. Seit Ende 2009 erhöhte sich die Zahl der Zeitarbeiter hier um bis zu 54 Prozent. Zu den Spitzenreitern im Osten zählen Thüringen und Sachsen, wo der Zuwachs bei etwa einem Drittel liegt.

Trotz dieser Dynamik sind Leiharbeitsverhältnisse aber nach wie vor meist nur von kurzer Dauer. 55 Prozent enden bereits nach weniger als drei Monaten. Entsprechend hoch ist die Personalfluktuation.

Nach Angaben der DGB-Studie wurden im ersten Halbjahr 2010 rund 544 000 Leiharbeitsverhältnisse abgeschlossen und 461 800 beendet. Trotz guter Konjunktur sei die Zahl der aufgelösten Arbeitsverträge damit sogar um sechs Prozent höher gewesen als im gleichen Vorjahreszeitraum. 2010 wurden 338 000 Leiharbeitskräfte aus einem sozialversicherungspflichtigen Job heraus arbeitslos. Das heißt, auch von ihrer Zeitarbeitsfirma wurden sie gekündigt. Vergleicht man die beschäftigten Leiharbeitskräfte mit den Zugängen aus der Leiharbeit in die Arbeitslosigkeit, so wurde fast die Hälfte des Beschäftigtenbestandes innerhalb eines Jahres arbeitslos.

"In keiner anderen Branche werden so viele Arbeitskräfte wieder freigesetzt und arbeitslos wie im Verleih", heißt es in der DGB-Studie. Das entsprechende Risiko liege vier- bis fünfmal höher als in der Gesamtwirtschaft. "Heuern und feuern ist immer noch an der Tagesordnung".

Leiharbeit führt daher auch nur in den wenigsten Fällen zu einem dauerhaften Job für vormals Arbeitslose. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit hatte schon im Frühjahr 2009 festgestellt, dass nur etwa acht Prozent der Betroffenen über den Weg der Leiharbeit eine reguläre Beschäftigung finden.

Gleichwohl machen offenbar immer mehr Firmen in wachsendem Maße von den befristetet Beschäftigten Gebrauch. In gut jedem fünften Einsatzbetrieb stellen Leiharbeitskräfte bereits fünf bis zehn Prozent der Belegschaft, vermerkt die Studie. Bei einem weiteren Drittel seien es mehr als zehn Prozent. Dadurch werde ein wachsender Teil der Arbeitnehmerschaft dem Schutz des Tarifvertrages am Einsatzort entzogen, was sich auch negativ auf das Lohnniveau der Stammbelegschaft auswirke.

Leiharbeiter verdienen für die gleiche Arbeit zum Teil nur halb so viel wie die Festangestellten. Im Rahmen der Verhandlungen über die Hartz-IV-Reform hatten SPD und Grüne lediglich eine absolute Lohnuntergrenze für Leiharbeiter durchsetzen können. Sowohl für die Einsatzzeit als auch für die verleihfreie Zeit gelten pro Stunde mindestens 7,60 Euro (West) und 6,65 Euro (Ost) als verbindlich. Die Forderung nach rascher Lohngleichheit zwischen Leiharbeitern und Stammbeschäftigten scheiterte am Widerstand von Union und FDP.

IG-Metall-Chef Berthold Huber nannte das auf dem gestrigen Aktionstag beschämend. "Mit prekärer Beschäftigung kann man vielleicht für eine kurze Zeit den Kostenwettlauf gewinnen, wird aber im Innovationswettbewerb dauerhaft verlieren", meinte der Gewerkschaftschef.

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