Kultur Sieben Leben, viele Rinder

Klausen · Im Gespräch zwischen Gregor Gysi und Pater Albert Seul in der Klausener Kirche ging es um Politik und Glaube, aber auch um Gysis verschiedene Leben  – von denen eines noch nicht begonnen hat.

 Mal nachdenklich, mal heiter und immer unterhaltsam: Gregor Gysi (rechts) und Pater Albert Seul haben mit ihrem knapp zweistündigen Dialog über Gott, Politik, die Kirche und die Welt viel Zuspruch vom Publikum in Klausen erhalten.

Mal nachdenklich, mal heiter und immer unterhaltsam: Gregor Gysi (rechts) und Pater Albert Seul haben mit ihrem knapp zweistündigen Dialog über Gott, Politik, die Kirche und die Welt viel Zuspruch vom Publikum in Klausen erhalten.

Foto: TV/Petra Willems

Dass die Wallfahrtskirche in Klausen voll ist, daran sei man gewöhnt, sagt Hausherr Pater Albert Seul zu Beginn der Veranstaltung mit Gregor Gysi. Dass aber die Besucher während der Gottesdienste so viel lachen und applaudieren wie während des 100-minütigen Dialogs zwischen Pater und Politiker darf bezweifelt werden. Denn Gysi bewies im Gespräch mit dem Wallfahrtsrektor in der ausverkauften Kirche, welch brillanter Redner, Gesprächspartner und Entertainer er ist. Der promovierte Jurist sprach mit dem Dominikanerpater unter anderem über ...

... die Vorzüge in der ehemaligen DDR: Nein, er halte nicht alles gut aus der ehemaligen DDR, schob Gysi vorweg. Aber: „90 Prozent der Frauen waren berufstätig.“ Deshalb habe es ein funktionierendes Kita-Netz gegeben, eine flächendeckende Nachmittagsbetreuung in den Schulen und zur Betreuung in den Schulferien Kinderferienlager der Unternehmen und Ferienspiele an den Schulen. „Da hat man eine Mark pro Monat für bezahlt, für fünf bis sechs Tage pro Woche, inklusive Mittagessen. Das war typisch DDR, denn alleine die Buchhaltung war teurer.“ Hätte man es kostenlos angeboten, wäre es den Staat also günstiger gekommen. Das sei wie vieles ein Fehler gewesen. Aber: „Einige Dinge hätte man nach der Wende in der Bundesrepublik übernehmen können. Das wäre gut gewesen für das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen.“

...seinen Beruf als Rinderzüchter: Margot Honecker sei es damals Schuld gewesen. Auf die Anordnung der einstigen Ministerin für Volksbildung hin hätten Oberschüler in der DDR eine Berufsausbildung machen müssen. KFZ-Schlosser habe er werden wollen, um die wenigen Autos reparieren zu können. Ohne Erfolg. Koch werden durfte er ebenfalls nicht. Von seinem Lehrer dann nach seinem Bezug zu Tieren gefragt, „dachte ich als Berliner an Hund, Katze, Zoo“, erzählte er in Klausen. „Aber nicht an Rinder.“ Trotzdem wurde er zum Facharbeiter für Rinderzucht ausgebildet. Ein Glücksfall, was auch sein Vater Klaus, einst DDR-Kultusminister und Staatssekretär für Kirchenfragen, meinte. „Er sagte: ,Wenn Du einmal fliehen musst, kannst Du Deine Ausbildung als DDR-Jurist vergessen. Als Cowboy bist Du aber weltweit gefragt.’ Außerdem hatte ich durch die Ausbildung beste Voraussetzungen, um in die Politik zu gehen: ausmisten kann ich, ganz wichtig; melken kann ich, – das ist wichtig, um Steuern einzutreiben; künstlich besamen kann ich – wenn Sie das nicht können, brauchen Sie erst gar nicht in die Politik zu gehen. Und die wichtigste Voraussetzung: Ich kann mit Hornochsen umgehen.“

...Gott: „Ich glaube nicht an Gott, aber als Atheist fürchte ich eine gottlose Gesellschaft.“ Denn der Kapitalismus sei nicht in der Lage, Moralnormen herzustellen. Nur die Kirchen, vor allem die evangelische und die katholische Kirche, könnten allgemeinverbindliche Moralnormen herstellen. Die Spendenfreudigkeit der Menschen zu Weihnachten sei ein Beispiel dafür.

...seine sieben Leben: Gysis im vergangenen Jahr erschienene Biografie heißt „Ein Leben ist nicht genug“. Sieben Leben habe er, sagte Gregor Gysi in Klausen: Kindheit und Jugend, dann Studentenzeit, der Anwaltsberuf. Dann die Zeit der Wende 1989/90, Leben Nummer 4. Schließlich sei er Bürger der BRD gewesen: In Leben Nummer fünf habe die Mehrheit ihn abgelehnt und er habe beschlossen: „Ich hasse nicht zurück. Ich lasse mir den Humor nicht nehmen.“ Was in Klausen mehrfach deutlich wurde. Und dann kam Leben Nummer sechs in der BRD, als er von einer breiten Mehrheit akzeptiert wurde. Und das siebte? „Das hat noch nicht angefangen. das ist das Alter“, sagte der 70-Jährige.

 Gregor Gysi (rechts) und Pater Albert Seul habe mit ihrem Dialog viel Zuspruch des Publikums in Klausen erhalten

Gregor Gysi (rechts) und Pater Albert Seul habe mit ihrem Dialog viel Zuspruch des Publikums in Klausen erhalten

Foto: Petra Willems
 Gregor Gysi hat in der ausverkauften Wallfahrtskirche Klausen mehr als 300 Menschen unterhalten.

Gregor Gysi hat in der ausverkauften Wallfahrtskirche Klausen mehr als 300 Menschen unterhalten.

Foto: Petra Willems

Es bleibt zu hoffen, dass dem so ist. Denn so werden noch viele Menschen – wie am 22. Juni in der (ebenfalls schon ausverkauften) Bitburger Stadthalle – die Möglichkeit haben, Gregor Gysi zuzuhören, über den Politiker, Juristen, Rinderzüchter und Liebhaber des Bonmot, der witzigen und geistreichen Sprüche, zu lachen. Und ihm, wenn sie denn wollen, zu applaudieren.

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